Bruckner-Zyklus
Seit Januar 2022 realisiert Paavo Järvi mit dem Tonhalle-Orchester Zürich einen Bruckner-Zyklus, der über mehrere Saisons geht. Wie gut dieser Komponist zu uns passt, zeigt der Blick in die Geschichte von unserer Dramaturgin Ulrike Thiele.
Von Beginn an fühlte sich das Tonhalle-Orchester Zürich der Aufführung von «Novitäten» verpflichtet, also zeitgenössischer Musik. Zur Zeit der Eröffnung der Neuen Tonhalle 1895 waren das Werke von Johannes Brahms oder Richard Strauss. Der treibende Geist war zunächst Friedrich Hegar, der erste Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters, der beste Kontakte zu den führenden Musiker*innen und Komponisten der Zeit unterhielt. Im Januar 1898 kam Strauss selbst nach Zürich, um unter anderem «Also sprach Zarathustra» zu dirigieren – wie Hegar das Werk «vorstudierte, die Streicher pultweise antreten liess, […] das war damals in aller Mund.» (E. Isler, Neujahrsblatt 1935)
Eine besondere programmatische Konstante geht wiederum auf Strauss zurück, der 1903 als Gastspiel mit dem Berliner Philharmonischen Orchester erstmals Bruckner aufführte, und zwar dessen Sinfonie Nr. 3.
Volkmar Andreae, der ab 1906 von Hegar das Amt des Chefdirigenten übernahm, liess weitere Zürcher Erstaufführungen folgen: 1907 die Sinfonie Nr. 9 und 1909 die Sinfonie Nr. 4. In den ersten Jahrzehnten erklangen die Vierte und die Dritte besonders häufig, gefolgt von der Achten und Siebten. Mit seinen zahlreichen Bruckner-Aufführungen begründete Andreae die Bruckner-Tradition, die bis in die Gegenwart reicht und nun mit dem Bruckner-Zyklus von Paavo Järvi und dem Tonhalle-Orchester Zürich fortgesetzt wird.
Für unseren Music Director passt Bruckner besonders gut zum Orchester:
«Mit seiner grossen klassisch-romantischen Tradition eignet sich das Tonhalle-Orchester Zürich ideal für Bruckner, diesen zentralen Komponisten für moderne sinfonische Klangkörper. Wenn Bruckners Musik in der Vergangenheit immer wieder als ‹statisch› abgetan wurde, tut man ihr Unrecht. Denn das ist vor allem ein Problem der Interpretation. Seine Musik hat die gleichen Vorzüge, Werte und Aspekte der Sinfonik von etwa Brahms, Mendelssohn, Schumann, Beethoven. Bruckner ist die natürliche Fortsetzung dieser Tradition. Auch wenn das Tonhalle-Orchester Zürich schon oft Bruckner gespielt hat und ich auch dirigiert, freue ich mich darauf, dass wir zusammen viel Neues entdecken werden. Und mit den Sinfonien Nr. 4 und 7 stehen zwei Werke am Anfang dieses Zyklus', die zurecht sehr beliebt sind: denn sie sprechen ganz direkt zu uns.»
Blick ins Archiv der Tonhalle-Gesellschaft Zürich: Erste Bruckner-Aufführung in Zürich im Jahr 1903
Bruckners Werke in Zürich und der Schweiz
1880 Bruckner reist durch die Schweiz und spielt vermutlich eigene Werke auf verschiedenen Orgeln
21. November 1896 In Luzern findet die erste dokumentierte Aufführung eines Werks von Bruckner in der Schweiz statt: drei Sätze aus seiner Sinfonie Nr. 7
21. März 1903 Erstmals wird eine (komplette) Sinfonie von Bruckner in der Schweiz aufgeführt: die Sinfonie Nr. 3 bei einem Gastspiel des Berliner Tonkünstler-Orchesters in der Tonhalle Zürich unter Leitung von Richard Strauss
29. November 1903 In Basel bringt Hermann Suter, einer der wichtigsten frühen Förderer von Bruckners Werken in der Schweiz, die Sinfonie Nr. 8 zur Aufführung
7. März 1904 Die Sinfonie Nr. 4 erklingt erstmals in der Schweiz: in Genf unter Willy Rehberg
20./21. Januar 1919 Erste Aufführung der Sinfonie Nr. 4 in Zürich, mit dem Tonhalle-Orchester unter Volkmar Andreae
1927/28 Volkmar Andreae führt zyklisch alle Bruckner-Sinfonien in einer Saison auf und macht Zürich zu einem Zentrum der Brucknerpflege
1942 bis 1948 Auch in den 1940er-Jahren setzte Andreae Bruckners Sinfonien in dichter Folge auf das Programm, dokumentiert durch Mitschnitte von Radio Beromünster.
1953 Erste Gesamteinspielung der Sinfonien von Bruckner durch Volkmar Andreae mit den Wiener Symphonikern
Seit den 1950er-Jahren, also in der Nachfolge von Volkmar Andreae als Chefdirigent, widmeten sich namhafte Chef- und Gastdirigenten den Werken Bruckners und brachten ihre Interpretationen zum Tonhalle-Orchester Zürich:
Hans Rosbaud (1952 Nr. 2, 1954/58 Nr. 6, 1955 Nr. 4, 1956/60 Nr. 3, 1957 Nr. 9, 1962 Nr. 1), Bruno Walter (1954 Nr. 9), Otto Klemperer (1956 Nr. 7), Erich Schmid (1960 Nr. 1, 1969/87 Nr. 6), Joseph Keilberth (1960 Nr. 7, 1964 Nr. 6, 1966 Nr. 8, 1968 Nr. 4), Bernard Haitink (1964 Nr. 3, 2003 Nr. 6, 2007 Nr. 8, 2009 Nr. 5, 2017 Nr. 4, 2018 Nr. 7), Rudolf Kempe (1966 Nr. 4 und 7, 1967/72 Nr. 5, 1968/71 Nr. 8, 1970 Nr. 9), Wolfgang Sawallisch (1966 Nr. 6, 1973 Nr. 3), Vaclav Neumann (1971 Nr. 4), Karl Böhm (1971 Nr. 7, 1974 Nr. 8), Ferdinand Leitner (1973 Nr. 9, 1974 Nr. 4, 1976/81 Nr. 6), Günter Wand (1975 Nr. 5), Christoph von Dohnányi (1976 Nr. 3, 2013 Nr. 4), Gerd Albrecht (1978 Nr. 4, 1977 Nr. 8, 1977/78 Nr. 7 inkl. Tournee), Christoph Eschenbach (1982/86 Nr. 7, 1983 Nr. 4, 1984 Nr. 8, 1990 Nr. 6), Lorin Maazel (1987 Nr. 3), Giuseppe Sinopoli (1987 Nr. 7), Kurt Masur (1990 Nr. 3), Kurt Sanderling (1990 Nr. 4, 1997 Nr. 3, 2001 Nr. 7), David Zinman (1996 Nr. 7 und 8, 1998/2016 Nr. 5), Herbert Blomstedt (1996 Nr. 9, 2009 Nr. 2, 1999/2019 Nr. 4, 2012 Nr. 8), Marek Janowski (2001, Nr. 1), Mariss Jansons (2003 Nr. 3), Andris Nelsons (2011 Nr. 4), Kent Nagano (2015 Nr. 6), Michael Sanderling (2016 Nr. 4), Franz Welser-Möst (2017 Nr. 8), Juanjo Mena (2019 Nr. 6)
Juni/Juli 2005 Der letzte grosse Bruckner-Zyklus mit dem Tonhalle-Orchester Zürich fand im Rahmen der Zürcher Festspiele statt: die «Nullte», Sinfonie Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 6 unter Leitung von Stanislaw Skrowaczewski, Nr. 3 mit Riccardo Chailly, Nr. 4 mit Philippe Herreweghe, Nr. 5 und Nr. 8 mit Herbert Blomstedt, Nr. 7 und Nr. 9 mit Bernard Haitink
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