Anna Thorvaldsdottir
Komponistin / *1977 Reykjavík, Island
In dieser Saison entführt uns Anna Thorvaldsdottir als Creative Chair immer wieder in faszinierende Klanglandschaften – so eindrucksvoll wie ihre Heimat Island.
Hier können Sie unsere nächste Creative Chair schon jetzt kennenlernen: Der Fragebogen orientiert sich an den legendären Vorlagen von Marcel Proust und Max Frisch. Diese kombinieren auf spielerische Art und Weise wichtige und vermeintlich unwichtige Fragen und geben so Einblicke in die Persönlichkeit der Befragten. Ausserdem haben wir einige Fragen zur Musik ergänzt.
Fragebogen
Wo würden Sie gerne leben?
Ich bin sehr zufrieden mit meinem Wohnort in der Nähe von London, aber meine isländischen Wurzeln sind immer noch sehr stark. Ich fahre sehr gerne zurück, um regelmässig Zeit dort zu verbringen. Die Landschaft von Island unterscheidet sich so sehr von England. Und ich liebe es, wie weit man dort in der Regel sehen kann – bis zum Horizont. Als ich nach England zog, brauchte ich eine ganze Weile, um mich an die engen Strassen zu gewöhnen, wo man an jeder Ecke von Bäumen umgeben ist. Beides ist auf seine Art wirklich schön. Aber ich habe das Gefühl, dass ich die offenen isländischen Räume organisch in mir trage, und dass sich das in meiner Musik auf eine bestimmte Weise manifestiert, auch wenn ich nicht bewusst darüber nachdenke.
Welche Fehler sind Sie am ehesten bereit zu verzeihen?
Jeder macht Fehler, natürlich. Aber ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen Fehler in der Regel leicht verzeihen können, wenn sie aufrichtig bedauert und nicht wiederholt werden.
Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?
Ehrlich gesagt denke ich nicht in Kategorien von «Lieblingsfiguren», das habe ich noch nie getan. Ich habe Lieblingsmenschen, in der Familie und unter Freunden... aber es ist wirklich schwierig, eine Lieblingsfigur in der Geschichte zu bestimmen – vor allem, weil es unmöglich ist, sie wirklich zu kennen. Ich mag Aufgeschlossenheit, Mitgefühl, Sensibilität, Respekt und Kreativität, also verkörpern meine Lieblingsfiguren einige (oder alle) dieser Eigenschaften.
Ihr Lieblingsdesigner/Künstler?
Es gibt so viele Künstler und Designer, die ich sehr schätze. Auch hier fällt es mir schwer, in Kategorien wie «Favoriten» zu denken. Es gibt viele, aber Björk hat immer einen besonderen Platz als Künstlerin eingenommen, die ich wirklich sehr bewundere. Die Dinge, die sie getan hat und weiterhin tut, sind so monumental phänomenal. Mit einem solchen Vorbild aufzuwachsen, das von der gleichen Insel im Norden kommt wie man selbst, hat zweifellos eine grosse Rolle dabei gespielt, dass ich mich selbst darüber nachdenken konnte, eine Musikkreative zu sein. Ausserdem interessiere ich mich generell sehr für Mode und Design und dafür, wie man sich selbst auf verschiedene Weise künstlerisch ausdrücken kann.
Ihre wichtigste Charaktereigenschaft?
Ich würde wahrscheinlich Aufrichtigkeit sagen. Ich mag ehrliche und respektvolle Beziehungen. Und Aufrichtigkeit ist in der Regel eine Charaktereigenschaft, die darauf hindeutet, dass Menschen sich sicher und zufrieden fühlen. Dann sind sie in der Lage, so zu sein, wie sie wirklich sind, und dies auch bei anderen zu respektieren.
Ihre Lieblingsblume?
Für mich stehen Blumen für so viele verschiedene Dinge im Leben, von Schönheit und Wachstum bis hin zum Tod – und allem, was dazwischen liegt. Ich denke oft über meine Musik im Sinne von «blühen» oder «erblühen» nach. In kreativer Hinsicht lasse ich ständig «Samen wachsen», wenn ich meine Musik schreibe, und erlaube den Ideen, organisch zu entstehen und zu dem zu werden, was sie auf natürliche Weise werden. Jede Idee lässt andere Ideen spriessen, die sich dann zu anderen Konzepten weiterentwickeln. Und so finde ich meine Musik, indem ich in mich hineinhöre. Ich «erlaube», dass sich das Material auf natürliche Weise entfaltet und sich im Laufe des Prozesses offenbart.
Welche natürliche Gabe hätten Sie gerne?
Die aus meiner Sicht vielleicht wichtigsten Eigenschaften sind Freundlichkeit und Mitgefühl und aufrichtiger Respekt für andere und alles Leben, an dessen Entwicklung ich ständig arbeite. Aber wenn ich träumen dürfte, dann würde ich gerne fliegen können.
Hätten Sie gerne ein absolutes Gedächtnis?
Wahrscheinlich nicht... Das Gedächtnis ist eine wunderbare Sache, und ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Aber ich glaube nicht, dass es für irgendjemanden wirklich gut wäre, ein absolutes Gedächtnis zu haben. Ich könnte mir vorstellen, dass das eine ziemliche Last wäre, die man sein ganzes Leben lang tragen müsste.
Wie alt würden Sie gerne werden?
Wenn die Frage lautet, wie lange ich leben möchte, dann lautet die Antwort: So lange, wie es mir meine Gesundheit noch erlaubt, das Leben zu geniessen. So lange möchte ich leben. Natürlich hoffe ich, mit meinem Mann und meiner Familie alt zu werden und die jüngeren Generationen in meiner Familie aufwachsen zu sehen.
Reisen Sie gerne?
Ich reise wirklich nur für die Musik. Also ja, das geniesse ich sehr. Und ich mag es sehr, in der Musik mit all diesen erstaunlichen Menschen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Das «Reisen» an sich, von A nach B, macht mir allerdings nicht so viel Freude. Aber ich denke, dass es nicht nur mir so geht...
Was machen Sie, wenn Sie auf Reisen sind?
Wenn ich unterwegs bin, versuche ich es ruhig angehen zu lassen. Und mich während der Reise zu entspannen, da ich während der Reise nicht an meiner Musik arbeiten kann. Und ich versuche, an den Orten, die ich besuche, etwas zu sehen oder essen zu gehen, wenn es der Zeitplan erlaubt. Aber normalerweise habe ich einen sehr vollen Terminkalender, wenn ich reise, so dass ich nicht immer die Möglichkeit habe, etwas zu entdecken. Aber es ist wirklich schön, wenn es möglich ist.
Lassen Sie uns über Musik sprechen. Wie würden Sie Ihr Instrument beschreiben?
Ich schreibe leidenschaftlich gern Musik für Orchester und grössere Ensembles: Daher ist mein Instrument wahrscheinlich am ehesten das Sinfonieorchester. Das passt zu der Art und Weise, wie ich Musik innerlich höre, und zu all den Texturen, die sie enthält. Das deckt sich sehr gut mit dem, was man mit einer grossen Gruppe von Interpret*innen erreichen kann. Als Teenager und junger Erwachsener habe ich lange Zeit Cello studiert. Ich habe das sehr ernst genommen und täglich viele Stunden geübt, daher habe ich auch eine besondere Beziehung zu Streichern.
Üben Sie gerne bzw. haben Sie gerne geübt?
Ich habe immer daran geglaubt, dass es wichtig ist, viel zu üben. Natürlich ist es nicht immer «angenehm» zu üben. Aber die Belohnung ist so süss und gut, dass ich das Üben wirklich geniesse. Als ich anfing, Musik zu schreiben, betrachtete ich es auch als «Übung». Also habe ich viel Musik geschrieben, bevor ich anfing, Komposition zu studieren. Ich habe zum Beispiel mein erstes Orchesterstück geschrieben, bevor ich anfing zu studieren – einfach aus dem Wunsch heraus, mich mit diesem grossen Instrumentarium auszudrücken. Und natürlich «übe» ich das Komponieren jeden Tag, wenn ich an meiner Musik arbeite. In gewisser Weise habe ich auch das Gefühl, dass ich im Geiste übe. Denn ich stelle mich jedes Mal hinter all die verschiedenen Instrumente, für die ich schreibe.
Wie wichtig ist der Applaus für Sie?
Applaus kann so unterschiedlich sein, je nachdem, wo auf der Welt man sich befindet. Aber natürlich ist es immer wunderbar, wenn die Leute zeigen, dass sie das, was man gemacht hat, schätzen. Ich mag es sehr, mit dem Publikum in Kontakt zu treten und ihm die Musik nahe zu bringen, für die ich so viel Zeit aufgewendet habe. Daher ist es herzerwärmend, Applaus zu erfahren. Aber es ist auch grossartig, von den Leuten nach einer Aufführung oder über die sozialen Medien zu hören, wie sie die Musik erlebt haben.
Haben Sie ein Ritual vor einem Konzert?
Nicht wirklich. Aber ich versuche, mich vor Konzerten zu entspannen und mir einen freien Kopf zu verschaffen. Ein freier Kopf ist mir sehr wichtig – und wahrscheinlich auch eines meiner wichtigsten «Werkzeuge», um meine Musik zu finden und zu schreiben. Es geht um einen inneren Wohlfühlort. Gerade vor einer Uraufführung ist es besonders wichtig, in einen ruhigen Geisteszustand zu kommen. So ist es für mich wohl zur Gewohnheit geworden ist, vor einem Konzert zu versuchen, diese Ruhe im Kopf zu erreichen.
Was schätzen Sie an Dirigent*innen oder Orchestern?
Es ist wunderbar, mit all diesen grossartigen Künstler*innen und Dirigent*innen zusammenzuarbeiten und unsere Musikalität durch Aufführungen zusammenzubringen. Was ich vielleicht am meisten schätze, ist der Respekt, den wir füreinander haben und wie wir uns in diesem gemeinsamen Ziel, Musik in die Welt zu bringen, verbinden.
Wenn Sie einen Fragebogen erstellen würden, welche Frage müsste darin enthalten sein?
Was machen Sie am liebsten?
Und wie würde Ihre Antwort lauten?
Musik machen; mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen sein; Zeit mit meiner Nichte und meinen Neffen verbringen; in der Natur sein, in den Himmel schauen oder mich um meine Blumen kümmern...
Interview: Ulrike Thiele
Konzerte
Erleben Sie Anna Thorvaldsdottirs Musik in folgenden Konzerten: in Orchesterkonzerten, im Dialog mit der isländischen Sagenwelt oder im Familienkonzert «Thorstein und die Riesen».
Creative Chair unterstützt von Swiss Re