Vanessa Porter (Foto: Oliver Look)
Body Percusscion

Kein Stoff zwischen Haut und Hand

Wenn Affen sich auf ihre Brust klopfen, Kinder in die Hände klatschen und sich in der Kleinen Tonhalle jemand mit flacher Hand ins Gesicht schlägt, dann geht es um ein faszinierendes Phänomen: um Body Percussion. Eine Annäherung.

Melanie Kollbrunner

Vanessa Porter rollt zwischen Probe und Gig über die Strassen, klopft mit ihren Finger auf das Steuerrad – ständig und fast ohne es selbst noch wahrzunehmen. «So sind wir eben», sagt die Perkussionistin und Performerin. Sie meint damit sich selbst als Schlagzeugerin, aber im Grunde alle Menschen, denn diese Form des Musizierens sei die archaischste, jene, die wir alle tief in uns beherbergen. Von Body Percussion spricht man, wenn der Körper als Instrument eingesetzt wird, um rhythmische Klänge zu erzeugen. Klatschen, Schnippen, Stampfen. Setzt man zudem die menschliche Stimme ein, spricht man von Body Music.

Christian Hartmann, Solo-Paukist im Orchester, klopft und trommelt ebenfalls neben seiner Kaffeetasse, wenn er über diese Form des Musizierens spricht. Gerade auch mit seinen Söhnen hat er immer wieder Formen der Body Percussion eingesetzt, mal bewusst, mal weniger bewusst, besonders als sie noch klein waren. Body Percussion sei so unmittelbar und intuitiv, kein Wunder, dass sie gern in der Musikvermittlung zum Zug komme, oft eben in Kombination mit dem Einsatz der Stimme: «Ich bau ein Haus», sagt er. Betonung auf «bau», paralleles Klopfen mit dem Finger. Ja, so fange man heute mit dem Schlagzeugspielen an. Bei Kindern fördert das Ausprobieren des eigenen Körperorchesters die Selbstwirksamkeit. Sie lernen bei der Body Percussion ihren Körper ganz neu kennen: eben als Instrument.

Von Null auf Klopf im Jetzt

«Kinder lieben alle Formen der Body Percussion», sagt auch Mara Corleoni, die den Bereich Musikvermittlung der Tonhalle-Gesellschaft Zürich leitet. «Wenn geklatscht, getrommelt oder gestampft wird, dann sind alle sofort am selben Ort, das verbindet Gruppen, ganz egal, wie heterogen sie sind. Es holt alle ins Jetzt, ins Miteinander.» Seit sie vor vielen Jahren ihre Funktion angetreten hat, setzen sie und ihr Team Body Percussion aus diesem Grund in ganz unterschiedlichen Formaten ein.

Vanessa Porter (Foto: Oliver Look)

Auch bei den Porters daheim in Laupheim, südlich von Stuttgart, wurde viel getrommelt und geklatscht: der Vater professioneller Schlagzeuger für Pop und Jazz mit eigener Musikschule im Haus, die Schwester ebenfalls Schlagzeugerin. Vanessa Porter hat klassische Perkussion an der Musikhochschule in Stuttgart studiert. Dass sie diesen Weg für sich gewählt habe, sei sicher der ständigen Verfügbarkeit von Musik zu verdanken, mit der sie aufgewachsen sei. Welche Rolle dabei Body Percussion gespielt hat, kann sie nicht sagen: «Sicher ist, dass Body Percussion bei Weitem nicht nur in der Vermittlung ihren Stellenwert hat.» Da sei noch viel mehr, auch wenn sie selbst aus grosser Überzeugung immer wieder als pädagogisches Element darauf zurückgegriffen hat, als sie noch vermehrt unterrichtete.

Sie interessiert sich inzwischen vor allem für den Bühnenauftritt, die Live-Performance als Grenze zwischen narrativer Kunstform und Konzert. Das ist auch ihr Zugang zur Body Percussion: «Ich will das Publikum so direkt wie möglich berühren.» Der Klang am Körper habe eine unmittelbare Wirkung, jede*r könne sich unter einem Schlag ins Gesicht etwas vorstellen. Komplexe, virtuose Abläufe mit mehreren Schlägeln etwa seien abstrakter.

Fest verankert im Kanon

Auch Christian Hartmann erlebt, dass diese Mischform aus Konzert und Kunst-Performance heute zusehends öfter anzutreffen sei. Bei Schlagzeug- Wettbewerben für zeitgenössische Kompositionen sei Body Percussion ein wesentlicher Bestandteil: «ein Aspekt, der heute fest in der solistischen Schlagzeug- Literatur verankert ist.» Diese sei ohnehin keine hundert Jahre alt und gekennzeichnet von Experimentierfreude: «Da gibt es spannende Stücke wie etwa ‹?Corporel› des slowenischen Posaunisten und Komponisten Vinko Globokar, die weit über kindliches Klatschen und Schnippen hinausgehen.»

Besagtes Stück «?Corporel» findet sich auch im Programm «Folie à Deux», das Vanessa Porter im November im Rahmen der Série jeunes präsentieren wird. Die Künstlerin mit Jahrgang 1992 tritt schon auf den grossen Bühnen der Welt auf und hat sich mit verschiedenen Preisen einen Namen gemacht. In die Série jeunes passt sie mit dem aussergewöhnlich performativen und sehr intimen Programm dennoch perfekt. Body Percussion spielt eine grosse Rolle darin, wenn sie mit dem Klangregisseur Daniel Mudrack Elemente der Improvisation und der Elektronik mischt.

Reiben, schlagen, zischen

Es scheint Vanessa Porter, dass Vinko Globokar (*1934) sich beim Komponieren gefragt hat, was denn alle diese Instrumente auf der Bühne sollen: «Und so geht es mir und vielen Kolleg*innen auch», sagt sie. Sie will beweisen, dass es für ein durchgängiges, stündiges Programm ohne Pause oder Applaus vor allem vollen Körpereinsatz braucht: «Da wird gezischt und geflüstert, es geht ums Kratzen, ums Reiben und auch ums Schlagen, aber eigentlich nicht im rhythmischen Sinne.» Gerade so, als würde jemand zum ersten Mal seinen Körper auskundschaften. Sie sitze im Schneidersitz in Sportunterwäsche auf der Bühne. Nicht, um Erotik auszustrahlen, sondern damit kein Stoff zwischen Hand und Haut das Unmittelbare verbaut.

Wenn Vanessa Porter etwa an einer Tankstelle Halt macht und es im Gebüsch raschelt, dann kann es gut sein, dass sie das gerade wahrgenommene Geräusch später in eines ihrer Programme einbaut. Alles rund um sie herum inspiriert sie. «Ich bin weniger der Typ für Orchestermusik», sagt sie, «auch wenn sinfonische Werke durchs Autoradio klingen». Was sie interessiert, sind Klang und Körperlichkeit, Haut und Haptik: Es geht ihr darum, Grenzen auszuloten. Das sei nicht immer schön, dafür fragil und direkt. Body Percussion eben.

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Folie à Deux

beschreibt eine Geistesstörung, bei der eine eigentlich gesunde Person die Wahnvorstellungen eines nahestehenden, an einer Psychose erkrankten Menschen übernimmt. Im Laufe der Zeit bestärken sich die beiden gegenseitig in ihrer Überzeugung. Gemeinsam mit dem Klangregisseur Daniel Mudrack hat die preisgekrönte Perkussionistin und Performance- Künstlerin Vanessa Porter ein Konzept mit dem Titel «Folie à Deux» entwickelt, das die Emotionen der Betroffenen durch Musik, Improvisation, Live Loops und Soundinstallationen darstellt, um der noch wenig bekannten Krankheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür verwendet sie eigene Musik sowie Werke von Georges Aperghis, Salvatore Sciarrino, Alexander Sandi Kuhn, David Lang, Emil Kuyumcuyan und Vinko Globokar.

November 2023
Mo 06. Nov
19.30 Uhr

Série jeunes: Vanessa Porter

Vanessa Porter Perkussion, Daniel Mudrack Elektronik Porter, Kuyumcuyan, Globokar, Lang, Aperghis, Kuhn
veröffentlicht: 30.10.2023

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