Ein Student startet durch
Der 25-jährige japanische Pianist Mao Fujita wird in der Tonhalle Zürich gleich doppelt debütieren. Wir haben mit seinem Lehrer Kirill Gerstein gesprochen.
Bei Mao Fujita geschieht gerade alles gleichzeitig. Er ist noch Student an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, wird im «Guardian» jedoch bereits als Star betitelt. Er hat Konzertdaten für zahlreiche wichtige Häuser in der Agenda – aber auch Termine für ein dreiteiliges Abschluss-Examen.
Für seinen Lehrer in Berlin, den amerikanischen Pianisten Kirill Gerstein, ist das normal. «Wir lernen ein Leben lang», sagt er bei einer Stippvisite in seiner Garderobe vor seinem letzten Zürcher Auftritt. «Ich selbst besuche immer noch hin und wieder meinen Mentor, den mittlerweile 89-jährigen ungarischen Pianisten Ferenc Rados. Und Mao Fujita will lernen, das ist bei ihm sehr ausgeprägt. Das wird sich auch nach seinem formellen Abschluss nicht ändern – er hat die Neugierde und den Enthusiasmus dafür.»
Kennengelernt haben sich die beiden bereits vor dem Tschaikowsky-Wettbewerb, der Mao Fujita internationale Aufmerksamkeit beschert hat. Zunächst haben sie sich nur gelegentlich getroffen, später zog Fujita wegen Gerstein von Porträt Mao Fujita Japan nach Berlin und schwärmt in Interviews von seinem Lehrer: «Er hat meine Perspektiven enorm erweitert, mir viele Tipps gegeben, ohne mich zu etwas zu zwingen», hat er einst gegenüber dem Bayerischen Rundfunk gesagt.
Welche Tipps waren das? Kirill Gerstein winkt ab, das könne man nicht so schnell beantworten, «da müsste ich ein ganzes Studium nacherzählen». Aber dann macht er doch einen Versuch: Es gehe in ihren Diskussionen oft um den musikalischen Kontext, sagt er. «Das ist wie in zwischenmenschlichen Beziehungen. ‹Wie geht es dir? Mir geht es gut› – das kann vieles bedeuten.» Entsprechend kann auch ein Forte in einer Partitur ganz unterschiedlich interpretiert werden. Wobei die Diskussionen mit seinem Schüler weit über die Frage des Anschlags hinausreicht: «In unserer Zeit sind wir es gewohnt, zu wissen, was passiert, wenn wir diesen oder jenen Knopf drücken. Stellt man solche Sicherheiten in Frage, kann das auch Angst machen.»
Mao Fujita – eine Karriere in Daten
2017
Der 19-jährige japanische Student Mao Fujita gewinnt den ersten Preis und sämtliche Nebenpreise beim Internationalen Clara-Haskil-Klavierwettbewerb in Vevey.
2018
Beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau, einem der wichtigsten Klavierwettbewerbe überhaupt, wird er mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.
2022
Der Pianist debütiert beim Lucerne Festival.
2023
Er debütiert in der New Yorker Carnegie Hall. Ausserdem erhält er für seine Aufnahme aller Mozart-Sonaten, die bei Sony erschienen ist, einen Opus Klassik.
2024
Neben seiner solistischen Tätigkeit bereitet sich Mao Fujita weiterhin für das Konzertexamen an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin vor.
Schlenker und Schnörkel
Mao Fujita wirkt allerdings alles andere als ängstlich. Im Gegenteil, wenn einer mit 25 Jahren eine Gesamtaufnahme der Mozart-Sonaten herausbringt, ist das eine Ansage. In diesem Fall eine überaus vergnügte; der lausbubenhafte Charme, mit dem er da einen Schlenker und dort einen Schnörkel in diese Sonaten streut, wirkt genauso ansteckend wie sein schallendes Lachen, wenn er in Interviews darauf angesprochen wird. Die Musik, so hat man den Eindruck, ist tatsächlich ein Spiel für ihn – kein Zwang, keine Show, nichts Kalkuliertes.
Von Zwang war auch in seiner Kindheit keine Rede. Mao Fujitas Vater ist Arzt, die Mutter Krankenschwester. Zwar begann er schon als Dreijähriger, Klavier zu spielen, aber als Beruf war das nicht gedacht; den hat er sich selbst ausgesucht.
Dass es die richtige Wahl war, wurde spätestens 2017 beim Internationalen Clara-Haskil-Klavierwettbewerb in Vevey klar. Dort erhielt Mao Fujita nicht nur den ersten Preis, den Publikumspreis und den Preis für die Interpretation eines zeitgenössischen Werks. Er elektrisierte auch den Intendanten Martin Engstroem, der im Publikum sass und den jungen Pianisten gleich für sein Verbier Festival buchte; erst für die Academy, bald danach als Solisten. Der Tschaikowsky-Wettbewerb öffnete dann weitere Türen: ins Amsterdamer Concertgebouw und in die Elbphilharmonie, zum Gewandhausorchester Leipzig und dem Los Angeles Philharmonic, zu Dirigenten wie Semyon Bychkov oder Riccardo Chailly.
Unter Chaillys Leitung debütierte Mao Fujita 2022 beim Lucerne Festival mit Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 – und zwar so, dass niemandem die Floskel des «Tastenlöwen» in den Sinn gekommen wäre. Er spielt auch dieses Werk verblüffend leicht und berückend sensibel; durchaus mit Kraft, wo es nötig ist, aber nie im Sinne einer Kraftdemonstration. So werden Gegenstimmen hörbar, die sonst oft zugedröhnt werden, und die Emotionen erhalten Schattierungen, die sich nicht in Schlagworte fassen lassen.
Zweifeln und überzeugen
Man könnte Mao Fujitas Rachmaninow-Interpretationen auch verstehen als Antwort auf die Frage, was Kirill Gerstein seinen Studierenden vermittelt. Es ist das, was Gerstein als «Gratwanderung» bezeichnet: «Einerseits ist es nötig, dass man zweifelt und sucht – und andererseits muss man auf der Bühne seine interpretatorischen Entscheidungen sehr sicher und überzeugend präsentieren.»
Gerstein ist nicht der einzige, der Mao Fujita auf dieser Gratwanderung unterstützt. In einem Interview für das Verbier Festival hat dieser einst drei weitere pianistische Vorbilder genannt: den Rumänen Dinu Lipatti, den Amerikaner William Kapell und den Usbeken Alexei Sultanov. Es ist eine ungewöhnliche Liste, die einerseits verrät, wie intensiv und offen sich Mao Fujita mit der Tradition auseinandersetzt. Andererseits fragt man sich, ob es ein Zufall ist, dass er ausgerechnet drei Pianisten erwähnte, die jung starben: keine abgeklärten Altmeister also, sondern Ausnahmetalente im Stadium eines Versprechens.
Die Phase des Versprechens, das ist derzeit auch seine – und mit dem Einlösen hat er schon einmal begonnen. So passt es bestens, dass er bei seinem Debüt in der Tonhalle Zürich zwei Schritte auf einmal macht. Im November spielt Mao Fujita ein Rezital in der Série jeunes, in der sich vielversprechende junge Musiker*innen vorstellen. Und im Januar folgt ein reguläres Orchesterkonzert mit dem Dirigenten Marek Janowski und Mozarts Klavierkonzert Nr. 27: Ein deutliches Zeichen dafür, dass dieser Pianist bereits mehr ist als eine Nachwuchshoffnung.