Lucas & Arthur Jussen (Foto: Marco Borggreve)
Porträt Lucas und Arthur Jussen

Vier Hände, ein Ziel

Seit Jahren spielen sie im Duo – und haben vor allem ein Ziel: Sie wollen wie ein einziger Pianist klingen. Dass sie Brüder sind, sehen Lucas und Arthur Jussen als grossen Vorteil.

Viviane Nora Brodmann

Die Fragen für dieses Porträt beantworten Lucas und Arthur Jussen per Sprachnachricht. Sie reden so dicht und intensiv, wie sie Klavier spielen. Keiner fällt dem anderen ins Wort, beide bauen aufeinander auf. Wie auf der Bühne sind sie auch hier ein eingespieltes Duo. Dieses Vorgehen sei der Effizienz geschuldet, da sie sich sonst mehr mit Interviews als mit dem Proben beschäftigen würden, meint Lucas Jussen. Bei rund 100 Konzerten im Jahr dürfte eine stattliche Anzahl Gesprächsanfragen zusammenkommen.

Die beiden Pianisten sind nicht nur ein Duo, sie sind auch Brüder, geboren 1993 und 1996. Eine engere Verbindung gibt es kaum: Sie spielen zusammen und geben gemeinsam Interviews, dazu sind sie stark in die Planung ihrer Konzerte involviert, deren Programme sie selbst gestalten. Die Proben beginnen erst später. Auch deshalb ist es für sie wichtig, dass das Konzertprogramm jeweils möglichst unverändert bleibt – erneut aus praktischen Gründen: «Das Problem ist, dass wir einen ziemlich vollen Kalender haben und viel Repertoire durcheinander spielen. Wenn dann pro Rezital mehrere Änderungen gemacht werden, wird es schwierig, zu fokussieren.» Die Orte, an denen sie auftreten, können sie zwar nicht frei bestimmen, doch immerhin haben sie eine grosse Auswahl: Die Anfragen von Konzertveranstaltern übersteigen ihre Kapazitäten – sie können längst nicht alle berücksichtigen.

Klare Grenzen

Bei so vielen Projekten, Auftritten, Ortswechseln und Programmen von einem abwechslungsreichen Alltag zu sprechen, wäre untertrieben. Umso wichtiger ist für die beiden die Zeit ausserhalb der Konzertwelt. Erst dann können sie auch wirklich Geschwister sein, sagt Lucas Jussen: «Selbst wenn wir frei haben und zu Hause sind, sind wir beieinander. Das ist die Freizeit, die wir verpassen, wenn wir zusammenarbeiten.» Die Grenzen sind damit klar gezogen: Sie «lieben das Konzertleben», aber genauso lieben sie die Momente miteinander, mit der Familie, mit dem Freundeskreis. Dafür verzichten sie auch auf Freizeitaktivitäten während ihrer Konzertreisen und fokussieren sich auf ihre Programme und Auftritte, anstatt beispielsweise in den Schweizer Alpen spazieren zu gehen.

Doch Familie bedeutet für die beiden weit mehr als gemeinsam Erholung und Freizeit zu geniessen. Auch die Musik ist tief in ihr verankert. Schon sehr früh erlebten die beiden, wie ihre Mutter zu Hause Querflöte unterrichtete. Mit ihrem Vater, Paukist im Rundfunkorchester in Holland, besuchten sie Orchesterproben: «So haben wir die grossen Sinfonien von klein auf mitbekommen. Deswegen ist klassische Musik für uns immer sehr natürlich, sehr normal gewesen.»

Doch sie hörten nicht nur zu, sie spielten auch – und nicht bloss für sich: Die Hauskonzerte in ihrer Kindheit waren prägend. «Wie klein oder unwichtig das auch war, wir haben es immer sehr ernst genommen, eigentlich genauso ernst, wie wenn wir jetzt ein Konzert in der Tonhalle Zürich spielen», erklärt Arthur Jussen. Heute wie damals ist es für sie zentral, bestmöglich vorbereitet zu sein, «sodass wir uns nach dem Konzert im Spiegel angucken und sagen können, wir haben alles gegeben».

Einzelkarrieren sind kein Thema

In ihrem Klavierspiel zu zweit, mit vier Händen, verfolgen die beiden vor allem ein Ziel: Zusammen wollen sie wie ein Pianist klingen und eine einzige Stimme entwickeln. Was das bedeutet, weiss Arthur Jussen genau, wenn er für beide antwortet: «Dafür brauchen wir dann nicht unser eigenes Ego durchzudrücken.» Natürlich seien sie unterschiedliche Personen, doch sie wollen auch «einfach ein sehr gutes Duo sein, und dafür muss man jede Sekunde adaptieren, sich jede Sekunde an den anderen anpassen». Dabei haben sie als Geschwister einen wichtigen Vorteil: «Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Wir haben 18 Jahre in demselben Haus gelebt, viel zusammen geprobt, einander viel zugehört.» Solche Erfahrungen sind kaum nachzuholen, wenn man sie nicht von Anfang an mitbekommen hat.

Ihre öffentlichen Auftritte – und auch ihre Profile auf Instagram und Facebook – vermitteln den Eindruck, dass sie alles gemeinsam unternehmen. Doch auch die Zeit allein existiert, zum Beispiel bei der Vorbereitung der Proben: Ihre Partien studieren sie getrennt ein. Erst wenn sie diese beherrschen, kommen sie zusammen.

An Einzelkarrieren haben sie noch nie gedacht, zu viel gibt es im Duo zu entdecken: «Und damit meine ich die Konzertsäle, aber auch Orchester und ein schönes Repertoire», sagt Lucas Jussen. Eher als ihr Zweiergespann aufzulösen, könnten sie sich – mit leichter Ironie von Arthur Jussen – einen Karrierewechsel vorstellen: «Wir haben immer gesagt, wir lieben Restaurants, also werden wir vielleicht irgendwann zusammen eines eröffnen. Aber das ist wohl eine romantische Idee.» Eines immerhin ist klar: Für die Konzertwelt gibt es Lucas und Arthur Jussen nur im einzigartigen Doppelpack – hinter dem Mikrofon wie auf der Bühne.

TV-Tipp

In der Kultursendung «Aspekte» werden verschiedene Geschwister porträtiert, unter anderem die Brüder Lucas und Arthur Jussen, als sie das letzte Mal in der Tonhalle Zürich zu Gast waren.

ZDF Aspkete
Die längste Beziehung im Leben
Geschwister - und wie sie uns prägen
42 Min.
Link

Januar 2025
So 19. Jan
17.00 Uhr

Klavierrezital: Lucas & Arthur Jussen

Lucas & Arthur Jussen Klavierduo, Lucas Jussen Klavier, Arthur Jussen Klavier Mozart, Schumann, Widmann, Debussy, Rachmaninow
veröffentlicht: 06.01.2025

Tags