Dirigierstab statt Kontrabass
Einst sass er im Orchester, nun steht er vorne – erstmals auch beim Tonhalle-Orchester Zürich.
Manchmal kann es schnell gehen, selbst wenn man die Dinge gemächlich anpackt. Beim 38-jährigen tschechischen Dirigenten Petr Popelka war das so: Er war zwölf Jahre alt, als er erstmals einen Kontrabass in die Finger bekam; Wunderkinder starten anders. Aber dann dauerte es nur sieben Jahre, bis er in Prag seine erste Orchesterstelle erhielt. Noch einmal fünf Jahre später wurde er stellvertretender Solo- Kontrabassist in der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Und er hätte das bleiben können bis zu seiner Pensionierung – wenn er nicht 2019 beschlossen hätte, die Stelle aufzugeben, um sein Glück als Dirigent zu versuchen.
Dass das klappen könnte, wusste er damals bereits. Drei Jahre lang hatte er Erfahrungen gesammelt, Weiterbildungen absolviert, Preise gewonnen. Der international gefragte Dirigierlehrer Johannes Schlaefli, bei dem Petr Popelka in Gstaad einen Meisterkurs besuchte, erinnert sich an einen angenehmen, bescheidenen Menschen, der «sehr offen war, zu lernen» und bei dem nicht zu übersehen war, dass er das Orchesterleben von innen kannte.
Und so ging es auch hier nach spätem Start rasch vor- beziehungsweise aufwärts: Ein Jahr, nachdem Petr Popelka seinen Orchesterjob gekündigt hatte, war er bereits Chefdirigent des Norwegischen Rundfunkorchesters in Oslo. Es folgten zahlreiche Debüts an Konzert- und Opernhäusern, ein weiterer Chefposten in Prag, begeisterte Kritiken. Im September 2024 beginnt er nun als Chefdirigent der Wiener Symphoniker.
Was er dort erreichen will, ist in einem Interview auf der Webseite des Orchesters nachzulesen – und es hat viel damit zu tun, was Petr Popelka selbst als Kontrabassist erlebt hat. Sein Traum ist ein Orchester, «in dem die Rolle eines jeden hörbar wird, in dem jede einzelne Stimme wichtig ist». Nicht nur er als Dirigent, sondern auch die Musiker*innen sollen in jedem Moment wissen, warum sie gerade jetzt und hier bestimmte Werke spielen. Ist das nicht gegeben, werde Musik zur Routine, zum «Dienst», sagt Petr Popelka, «ich habe das selbst erfahren».
Und noch einen Fehler will er nicht machen: nämlich den, als Dirigent Kritik nicht direkt zu äussern, um den Frieden im Orchester nicht zu gefährden. «Als Musiker habe ich mir nichts mehr gewünscht, als inspiriert zu werden und mit allen Kolleginnen und Kollegen ernsthaft an der bestmöglichen Interpretation zu arbeiten.» Denn deshalb habe man diesen Job ja einmal begonnen: «Aus Leidenschaft! »
Anders gesagt: Petr Popelka glaubt weder an Pultgötter noch an musikalische Basisdemokratie, sondern ans «Mitnehmen», an ein «Musizieren auf Augenhöhe». Und daran, dass Schumann und Schnittke genau die richtigen Komponisten für sein Debüt beim Tonhalle-Orchester Zürich sind.