Nie ohne Basler Läckerli
Friedemann Dürrschnabel und Matthias Lehmann sind zwei unserer Orchestertechniker. Mit dem Tonhalle-Orchester Zürich auf Tournee zu sein, ist für sie etwas Besonderes.
Friedemann und Matthias, welchen Gegenstand nehmt ihr auf jede Tournee mit?
ML: Eine Kamera, um die Konzertsäle und die Hinterbühnen-Bereiche zu dokumentieren. Das ist besonders wichtig, wenn wir an einem Ort zum ersten Mal spielen, im Hinblick auf die Wiedereinladung. Ich fotografiere auch einfach gerne das Orchesterleben auf Reisen.
FD: Basler Läckerli. Manchmal ist der Tag so eng getaktet, dass das Essen für uns Orchestertechniker ausfällt.
Was darf für Paavo auf Reisen nie fehlen?
ML: Paavo betont eigentlich immer wieder, wie froh er über seinen persönlichen Ventilator ist. Er kommt ja aus dem Norden. Er hat es gern kalt, er braucht Luftbewegung, und nicht alle Garderoben haben Fenster.
Und für das Orchester?
FD: Die Sitzkissen. Ufoteller oder Tellerminen, wie wir sie auch nennen. Jeder Konzertsaal ist mit anderen Stühlen auf der Bühne ausgestattet. Mit diesen Sitzkissen können unsere Musikerinnen und Musiker die Stühle individuell anpassen. Das ist sehr spezifisch für unser Orchester, das kenne ich von keinem Gastensemble. Wir verwenden diese Kissen auch in der Tonhalle Zürich. Sie sind dem Publikum bestimmt schon aufgefallen.
Wir haben vor drei Jahren mit der Schweizer Geigenbauschule Brienz eine Instrumentenkatalogisierung durchgeführt. In einer Woche wurden alle Instrumente der Orchestermitglieder erfasst. Warum war das nötig?
ML: Es gibt Länder, die eine vollständige Dokumentation der Materialien verlangen, die in einem Instrument verarbeitet sind. Wenn ein Geigenbogen beispielsweise eine Elfenbeinspitze hat und Schildpatt unten am Frosch, behält der Zoll ihn in manchen Ländern ein oder zerstört ihn sogar, weil die Materialien von artengeschützten Tieren stammen. Oft wissen die Musikerinnen und Musiker gar nicht, ob sie am Geigenbogen eine Elfenbein- oder eine Mammutspitze – womit der Zoll keine Probleme hätte – haben. Bei der Instrumentenkatalogisierung haben wir Pässe erstellt und können beweisen, dass die Instrumente keine verbotenen Anteile enthalten. Oder wir wissen, dass wir auf eine allfällige Amerikatournee besser den Bogen aus Carbon mitnehmen. Wir können unseren Musikerinnen und Musikern nun das sichere Gefühl geben, dass das eigene Instrument heil in das Land rein und heil auch wieder zurückkommt. Oder wir können ihnen sagen, dass dieses spezifische Instrument besser daheimbleibt.
Tourneen sind also sehr aufwendig in der Vorbereitung. Warum sind sie dennoch so wichtig?
ML: Aus Sicht des Publikums ist es spannend, ein Ensemble mit einer anderen Orchesterkultur im «eigenen» Konzertsaal zu erleben und dann vielleicht mit dem heimischen Orchester zu vergleichen. Trotz Globalisierung haben beispielsweise die Wiener Philharmoniker und das Gewandhausorchester ihren ganz eigenen Klang. Und wir natürlich auch.
FD: Auf einer Tournee zeigt sich die bisherige Zusammenarbeit von Paavo und dem Tonhalle-Orchester Zürich wie unter einem Brennglas. Sie sind seit ihrem Start klanglich zusammengewachsen, und sie haben nun nach dem Rückzug in die Tonhalle Zürich ihren Saal, ihren Klangraum zurück. Das prägt unsere Klangqualität. Unterschiedliche Konzertsäle wie die Elbphilharmonie in Hamburg, der Musikverein in Wien oder die Philharmonie de Paris bringen uns mit ihren eigenen, sehr guten Akustiken noch weiter, denn die Musikerinnen und Musiker passen die individuelle Klangqualität an das jeweilige Ambiente an und bringen sie zum Strahlen. Durch das hoch konzentrierte Spielen in fremden Konzertsälen werden wir uns der eigenen Qualität noch bewusster. Und dann schweisst das Reisen auch einfach zusammen. Neudeutsch: Teambuilding.
Der Beruf des Orchestertechnikers beinhaltet, dass ihr die Ersten und die Letzten auf der Bühne seid: Ihr bereitet sie vor, und ihr baut alles wieder ab. Auf Tourneen ist dieser Arbeitsrhythmus besonders herausfordernd. Was bedeutet das konkret?
FD: Lange Tage, kurze Nächte.
ML: Europatourneen haben sich wegen der Distanzen als das Anstrengendste herausgestellt, weil man an ein und demselben Tag reisen und konzertieren kann. Wir Orchestertechniker bauen am Vorabend ab und sind nach Mitternacht im Hotel. Am nächsten Morgen geht es für uns früh weiter. Wir reisen dem Orchester voraus, um die Bühne am neuen Konzertort vorzubereiten. Bei Europatourneen geht das so vier, fünf Tage nacheinander, bis wir einen ersten freien Tag haben.
Eine gute Planung ist bei so einem Rhythmus essenziell. Wie geht ihr vor?
ML: Du kennst doch bestimmt dieses puzzeleartige Computerspiel Tetris? Wir besitzen einen Bausatz mit allen Cases, wie wir die Kisten für die Instrumente nennen, im Verhältnis von eins zu zehn. Jedes Case existiert als kleines Holzmodell. Ein Case für einen Kontrabass ist etwa so gross wie eine Espressotasse. Wir haben auch den Laderaum des LKWs als Modell in Form eines Plexiglasquadrats. Und so hecken wir im Vorfeld – ähnlich wie bei Tetris – eine Ladeordnung aus: Welche Cases können gestapelt werden, welche können weit hinten im Laderaum stehen?
Worin bestehen für die Musikerinnen und Musiker die Herausforderungen auf Tourneen?
ML: Die Atmosphäre auf Tourneen ist natürlich eine andere als zu Hause. Ist ja klar, eine Tournee ist ein kleines Abenteuer. Man kommt herum, bereist viele Städte. Aber verklären kann man das nicht. Eine Tournee ist für Musikerinnen und Musiker oft eine Grenzsituation und die Nervosität spürbar. Es fängt schon bei der anderen Nahrung und dem Klima an. Dann können sie im Vorfeld oft nicht wie sonst üben, weil das Instrument im LKW transportiert wird oder weil es im Hotelzimmer schwierig ist. Der Rhythmus ist komplett gestört, aber alle müssen am Abend eine Topleistung liefern.
Was hat das für Auswirkungen für euch?
ML: Wir sind auf Reisen, vor allem in den asiatischen Ländern und in Südamerika, anderen Temperaturen ausgesetzt. Und Musizieren ist wie ein Hochleistungssport. Da strömt einem beim Öffnen der Kleider-Cases am Ende einer Tournee eine olfaktorische Wolke entgegen, vor allem aus jenen mit den Fräcken. Die Musiker sind in ihren Fräcken im Vergleich zu den Musikerinnen dicker angezogen. Das hat entsprechende Auswirkungen.
FD: Ich erlebe auf Tourneen mit dem Tonhalle-Orchester Zürich – und ich kenne einige Orchester – in Sachen Bescheidenheit und Professionalität eine einmalige Einstellung. Auf Reisen richten unsere Musikerinnen und Musiker alles darauf aus, dass am Abend auf der Bühne Höchstleistung gezeigt wird. Und deshalb ist es auch sehr angenehm, mit diesem Orchester unterwegs zu sein. Jede und jeder ist sich dessen bewusst, was der oder die andere zum Gelingen beiträgt. Der Respekt ist aus meiner Sicht in diesem Orchester einzigartig.