Isabelle Faust (Foto: Marco Borggreve)
Interview mit Isabelle Faust

«Diese Geige weiss genau, was sie will»

Im April spielt Isabelle Faust Mozarts Violinkonzert Nr. 5 auf der «Dornröschen»-Stradivari von 1704. Was ist das für ein Instrument?

Interview: Susanne Kübler

Isabelle Faust, wie würden Sie den Charakter der «Dornröschen»-Stradivari beschreiben?

Es ist eine feingesponnene Geige. Sie ist relativ zierlich gebaut, sehr wendig, sehr artikuliert – was gerade bei Mozart gut passt. Sie hat diesen hellen, fliegenden Klang und eignet sich damit ganz besonders für alles, was viel Licht und Leichtigkeit braucht.

Den Namen «Dornröschen» hat das Instrument bekommen, weil es lange geschlafen hat – es blieb fast dreihundert Jahre unbenutzt. Wie hat es diese Zeit unbeschadet überstanden?

Die Geige lag tatsächlich sehr lange in einem deutschen Schlösschen in einem Schrank, man hatte sie dort wohl einfach vergessen. Aber offenbar waren die klimatischen Verhältnisse günstig, jedenfalls ist sie in einem exzellenten Zustand. Vielleicht war es sogar ein Glück, dass sie so viele Jahre nicht malträtiert wurde. Es kann einem ja immer etwas passieren, man schlägt mit dem Bogen ans Instrument, oder man reist vom feuchtesten an den trockensten Ort, das ist nicht unproblematisch.

Sie spielen diese Geige seit 1996. Hat sich ihr Klang seither verändert?

Am Anfang hat er sich sehr stark entwickelt – denn obwohl ihr die lange Ruhe nicht geschadet hat, ein bisschen eingeschlafen war sie eben doch … Wenn eine Violine voll ausklingen soll, muss man sie in Schwingung versetzen und fordern. Im Rückblick würde ich sagen, dass es etwa fünf Jahre gedauert hat, bis ich sie so gut kannte, dass ich wusste, was sie braucht. Bei so hochwertigen Geigen, die so eigene Charaktere und Bedürfnisse haben, dauert es eine Weile, bis man sich hineinfühlt. Und umgekehrt musste sie auch mich kennenlernen, das ist ja wie ein Zusammenspiel.

Sie reden von Ihrer Geige fast wie von einem Haustier. Wenn sie tatsächlich ein Tier wäre – was wäre sie für eines?

Vermutlich eine Katze. Sie ist sehr eigenwillig und weiss genau, was sie will. Sie hat einen starken Charakter. Und sie ist sehr geschmeidig.

«Ich wehre mich immer ein bisschen, wenn so ein grosser Akzent auf das Instrument gelegt wird. Wenn es heisst: Oh, Sie spielen eine Stradivari, dann haben Sie ja ausgesorgt.»

Stichwort eigenwillig: Es ist zweifellos eine Ehre, wenn man eine Stradivari spielen darf. Aber könnte es nicht auch sein, dass einem so ein Instrument gar nicht passt?

Doch, natürlich! Aber diese Geige ist tatsächlich sehr auf mich gemünzt. Ich habe sie gezielt ausgesucht – wobei es nicht so war, dass ich damals Dutzende von Stradivaris ausprobiert hätte. Ein Freund riet mir, sie zu testen, und wir haben von Anfang an sehr miteinander sympathisiert. Sie war wie gesagt eingeschlafen; es gab jedoch auf allen vier Saiten einzelne Töne, die wie Sterne leuchteten für mich. Jemand anderes hätte das vielleicht nicht so erlebt. Aber ich hatte solche Töne noch nie gehört, und sie faszinierten mich so, dass ich wusste: Es lohnt sich, für dieses Instrument zu kämpfen.

Was hiess in diesem Fall kämpfen?

Nun ja, ich hatte die notwendigen Millionen nicht auf meinem Konto … Also musste ich einen Sponsor suchen. Das war nicht einfach, aber es hat funktioniert. Die L-Bank kaufte die Geige, seither darf ich sie spielen.

Hatten Sie nie Angst, dass die Bank sie Ihnen wieder wegnimmt und jemand anderem verleiht?

Nein, da habe ich unglaubliches Glück. Es gibt keine Begrenzung der Leihdauer; solange die Bank das Gefühl hat, dass die Geige bei mir in guten Händen ist, scheint es kein Problem zu sein. Das ist enorm wichtig, denn man muss sich schon sehr einschiessen auf so ein Instrument. Wenn man eine Deadline hat und weiss, dass man danach wieder von vorne beginnen muss, kann das dramatisch sein.

Weil man sozusagen seine Stimme verliert?

Ja, genau. Natürlich war das schlanke Spiel, das diese Geige fordert, bei mir schon angelegt; aber es hat sich sicher wegen ihr noch weiter in diese Richtung entwickelt. Wer weiss, vielleicht würde ich heute anders spielen, wenn ich damals ein anderes Instrument in die Hand bekommen hätte. Es ist wirklich eine Partnerschaft mit so einer Violine, man passt sich an und beeinflusst sich gegenseitig.

Wenn wir in Ihrer Geschichte zurückgehen: Wie viele Geigen waren wichtig für Sie?

Ganz am Anfang hatte ich eine wunderschöne halbe Geige von Klotz. Ich erinnere mich nur noch vage an ihren Klang, aber ich war unglaublich stolz auf sie. Sie wurde jedoch bald wieder verkauft, damit wir uns das nächste Instrument leisten konnten: Das war eine Scarampella meines damaligen Geigenlehrers, also eine nicht ganz so alte italienische Violine. Auf ihr habe ich sämtliche Jugendmusiziert- Wettbewerbe gespielt, auch meine ersten internationalen Wettbewerbe gewonnen. Es war ein solides, nicht besonders raffiniertes Instrument, das mir eine gesunde Basis ermöglicht hat. Selbst auf einem Niveau, auf dem man allmählich in Richtung echt gute Italiener gehen müsste, hat sie alles mitgemacht, als sehr bodenständiger und zuverlässiger Begleiter. Heute spiele ich neben der «Dornröschen»-Stradivari auch eine neu gebaute Barockgeige.

Und wie viele Bögen verwenden Sie?

Wesentlich mehr als Geigen! Ich liebe exzellente Bögen und staune immer wieder, wenn andere ihnen gar keine besondere Bedeutung zugestehen. Der Klangunterschied ist enorm, wenn man den Bogen wechselt. Je nachdem, was ich spiele, mit wem zusammen und in welcher Akustik, nehme ich einen anderen. Bei CD-Aufnahmen kann es sein, dass ich für jeden Satz einer Barocksonate einen anderen Bogen wähle; der eine ist vielleicht lyrischer, ein anderer artikuliert gut.

Wissen Sie schon, mit welchem Bogen Sie in Zürich Mozarts Violinkonzert Nr. 5 spielen werden?

Nein, das werde ich wie immer erst in den Proben entscheiden. Ich freue mich übrigens sehr auf das Konzert: Es wird von Giovanni Antonini dirigiert, mit ihm und dem Ensemble Il Giardino Armonico habe ich einst alle Mozart-Konzerte eingespielt. Kürzlich waren wir erneut auf Japan-Tournee damit – und mit dem Orchester wird es wieder anders sein. Er lockt mich jedes Mal in ganz spezielle musikalische Ecken.

«Wer weiss, vielleicht würde ich heute anders spielen, wenn ich damals ein anderes Instrument in die Hand bekommen hätte. Es ist wirklich eine Partnerschaft mit so einer Violine, man passt sich an und beeinflusst sich gegenseitig.»

Bei Mozart wird das Orchester klein sein, aber Sie begegnen mit Ihrer Stradivari auch grossen Besetzungen. Wie funktioniert das?

Sie hat ein spezielles Timbre, einen fast gläsernen, vanille-artigen Klang, der sich auch von grossen Sinfonieorchestern absetzt. Natürlich spiele ich bei modernen Orchestern mit Stahlsaiten, Darmsaiten würden da nicht funktionieren. Doch so passiert es eigentlich nie, dass sie untergeht. Ich habe ja probehalber immer wieder andere Geigen in der Hand, die vielleicht mehr Power haben; aber die haben dann einen dunkleren, runderen Klang, damit ist es nicht immer einfacher, sich gegen ein Orchester durchzusetzen.

Und wie hält die Geige durch, wenn Sie Zeitgenössisches spielen?

Da stösst sie manchmal an ihre Grenzen. Es kommt auf den Tag an, ob sie gut drauf ist oder nicht – aber wenn man so richtig reinlangt, muss sie schon ein bisschen die Luft anhalten. Es tut mir manchmal fast leid, dass ich sie so an der Gurgel nehmen muss. Doch das gehört dazu.

Bleibt noch die ketzerische Frage: Wie wichtig ist eigentlich eine herausragende Geige? Wie viele im Publikum hören den Unterschied?

Wir Streicher sind alle ein wenig traumatisiert von der Instrumentenfrage, man überlegt immer, ob man noch weitersuchen soll. Aber unter dem Strich ist entscheidend, wie man spielt. Wenn meine Geige einmal einen bisschen verschnupft ist, kriegt das ausser mir kaum jemand mit. Wenn man dagegen nicht so genau weiss, was man musikalisch ausdrücken möchte, hat das viel grössere Auswirkungen: Das entscheidet dann tatsächlich darüber, ob es ein Konzert wird, das die Leute mitnimmt, oder eben nicht. Deswegen wehre ich mich immer ein bisschen, wenn so ein grosser Akzent auf das Instrument gelegt wird. Wenn es heisst: Oh, Sie spielen eine Stradivari, dann haben Sie ja ausgesorgt.

Anders gesagt: Wer musikalisch nichts zu bieten hat, dem hilft auch eine Stradivari nicht.

Genau. Ich erinnere mich an einen Kurs von Nathan Milstein, den ich in Zürich besuchen durfte, als ich etwa 13 Jahre alt war. Er war damals schon sehr betagt und hatte seine Geige nicht dabei. Manchmal hat er sich aber die eine oder andere Violine eines Schülers gegriffen und etwas vorgezeigt. Das waren bei weitem keine Stradivaris, und es hat mich wirklich fasziniert, dass es immer nach Nathan Milstein klang.

Aber Sie klingen dennoch am meisten nach Isabelle Faust, wenn Sie Ihre Stradivari in der Hand haben?

Ja. Denn natürlich kann man sich expressiver ausdrücken, wenn man sich von der Geige unterstützt oder gar geleitet fühlt. Wenn sie einem zeigt, dass es noch einen weiteren Horizont gibt: Dann kann man erst so richtig abheben.

april
Sa 12. Apr
18.30 Uhr

Giovanni Antonini & Isabelle Faust

Tonhalle-Orchester Zürich, Giovanni Antonini Leitung, Isabelle Faust Violine Gluck, Mozart, Schubert
So 13. Apr
17.00 Uhr

Giovanni Antonini & Isabelle Faust

Tonhalle-Orchester Zürich, Giovanni Antonini Leitung, Isabelle Faust Violine Gluck, Mozart, Schubert
veröffentlicht: 03.04.2025

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