Wie reagiert ein Orchester auf neue Dirigent*innen?
Die Geigerin Ulrike Schumann-Gloster beschreibt, worauf es bei Debüts ankommt.
Nach meiner Beobachtung reagiert jedes Orchester als Organismus anders auf eine neue Person am Pult. Dabei ist nicht entscheidend, mit welchen Vorkenntnissen manche von uns in die ersten Proben gehen. Sicher gibt es jeweils einige im Orchester, die sich schon eine Meinung gebildet haben; vielleicht haben sie jemanden als Aushilfe anderswo erlebt, haben indirekt durch befreundete Kolleg*innen etwas mitbekommen oder Aufnahmen gehört. Aber man kann auf dieser Basis nicht voraussagen, was bei uns passieren wird; es entwickelt sich jedes Mal eine Beziehung mit einer individuellen Dynamik.
Unsere prinzipielle Einstellung erlebe ich als offen und konstruktiv; wir sind froh über alle Dirigent*innen, welche die Qualitäten mitbringen, die unsere Arbeit spannend und möglich machen. Für mich geht es da vor allem um das Vermitteln eines Gefühls der Sinnhaftigkeit und Bedeutung, geleitet von einer überzeugenden Klangvorstellung und der Wahrnehmung einzelner und aller. Vieles läuft über die Körpersprache: Nach meiner Erfahrung «klingt» jemand beim Dirigieren, ohne viel von sich aus zu tun; sie oder er bringt eine natürliche Anlage mit, die entweder Klänge und Farben hervorrufen kann oder eben nicht. Die Gestik und die Blickkontakte, die Präsenz, die Phrasierung und das Timing sind zentral, denn im Konzert kann man ja nicht sprechen: Nur das, was nonverbal vermittelt wird, kann sich klanglich realisieren. In den Proben können aber trotzdem auch Kenntnisse und Wünsche auf musikgeschichtlicher oder aufführungspraktischer Ebene sowie emotionale Vergleiche, mit denen Dirigent*innen ihre Vorstellungen vermitteln, eine Rolle spielen; sie können entweder Sinn machen oder eher nicht überzeugen.
Alles in allem ist ein Debüt ein Blind Date, bei dem wir unserer Geschäftsleitung vertrauen, ihren Einschätzungen, Kooperationen und Kontakten. Am Ende tragen wir die musikalische Arbeit und das Ergebnis in unseren Händen und erfüllen eine Partitur mit Leben und Fantasie, damit unser Publikum den Abend als etwas Unvergessliches erlebt.