Frage 23

Wie geriet Mahler in die Filmgeschichte?

Sein «Adagietto» aus der Sinfonie Nr. 5 machte dank Luchino Visconti Karriere – keineswegs zufällig.

Susanne Kübler

Wie viel Autobiographisches steckt in Thomas Manns Werken? Diese Frage wird in der Literaturwissenschaft seit jeher diskutiert. Seine Novelle «Tod in Venedig» gilt dabei als eines der Paradebeispiele für die literarische Verarbeitung des eigenen Lebens: Schliesslich ist auch Gustav von Aschenbach, der Protagonist der Novelle, ein Schriftsteller. Die Orte, an denen er vorbeikommt, hat auch die Familie Mann auf einer Venedig-Reise besucht; die Werke, die ihm zugeschrieben sind, lassen sich leicht als Thomas Manns eigene entschlüsseln. Und dann ist da die homoerotische Sehnsucht nach dem Knaben Tadzio, die Katia Mann nach der Lektüre der Novelle sofort richtig interpretierte; später erzählte sie im Zusammenhang mit ihrer Venedigreise von einem bildhübschen 13-jährigen Jungen, «der meinem Mann sehr in die Augen stach».

Aber Aschenbach ist nicht nur ein Alter Ego seines Schöpfers. Thomas Mann selbst hat einst gesagt, er habe Aschenbach die «Maske Mahlers» verliehen – der Vorname Gustav und das Alter passen dazu. Mann und Mahler verehrten sich gegenseitig, ohne sich allerdings wirklich zu kennen: Nur zwei Mal hatten sich ihre Wege gekreuzt, beide Male im Münchner Hotel «Vier Jahreszeiten», jeweils im Anschluss an ein Konzert.

Sterben zu Mahlers Klängen

So war es kein Zufall, dass der italienische Regisseur Luchino Visconti den Aschenbach 1971 in seiner Verfilmung von «Tod in Venedig» nicht mehr als Schriftsteller zeigte, sondern als Komponisten. Visconti hatte selbst hatte einen engen Bezug zur Musik, neben Filmen inszenierte er auch regelmässig Opern. Der Soundtrack des Films, der sich vor allem aus Ausschnitten aus Mahlers Sinfonien Nr. 3 und 5 zusammensetzt, ist denn auch weit mehr als eine Untermalung des Geschehens: Die Musik wird geradezu zur Erzählerin.

Eine besondere Rolle spielt dabei das «Adagietto», der ruhige vierte von fünf Sätzen aus der fünften Sinfonie, der nur von Streichern und der Harfe gespielt wird. Es ist diese Musik, zu der Aschenbach auf einem Dampfschiff in Venedig ankommt; und es ist wieder diese Musik, die ihn am Ende in den Tod begleitet.

Offener Protest

Mahlers Tochter Anna war alles andere als begeistert von dieser Engführung von Aschenbach und Mahler, auch Dirigenten wie Otto Klemperer und Wolfgang Sawallisch unterzeichneten einen offenen Protestbrief. Aber die Wogen glätteten sich bald; der Film ist vielschichtig genug, um sich dem Vorwurf simpler Gleichsetzungen zu entziehen.

Das wiederum hat viel mit Mahlers Werken zu tun. Solange er etwas in Worten zusammenfassen könne, würde er «gewiss keine Musik hierüber machen», hat Gustav Mahler einst in einem Brief geschrieben. In Viscontis Film erzählt sein «Adagietto» nun genau das, was sich jeder Sprache entzieht.

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