Regisseurin Eva Buchmann (Foto: Ken Liu)
Oper im Konzertsaal

«Fidelio» oder «Florestan»?

Zum ersten Mal, seit Paavo Järvi Music Director ist, steht eine Oper auf dem Programm: «Fidelio». Es wird eine halbszenische Aufführung. Regisseurin Eva Buchmann spricht über ihren Blick auf Beethoven und die grosse Wirkung von kleinen Dingen.

Interview: Ulrike Thiele

«Fidelio» ist die einzige Oper von Beethoven und heute aus den Spielplänen nicht mehr wegzudenken. Wie haben Sie sich diesem Werk angenähert?

Für mich war es immer auch ein etwas schwieriges Werk. Ich habe mich dann intensiv eingelesen und mir überlegt: Warum hat Beethoven diese Oper geschrieben und warum nur diese einzige? Irgendwie habe ich dann gedacht, es ist schon sehr bezeichnend, dass jemand so lange an einem Bühnenwerk arbeitet. Er wollte so gerne eine Oper schreiben – und obwohl zu seiner Zeit so viele Libretti zur Verfügung standen, dauerte es lange, bis er das passende gefunden hatte. Das Libretto von Joseph Sonnleithner hat ihn dann begeistert. Doch das Ergebnis war kein Erfolg.

Aber Beethoven hat nicht davon abgelassen.

Andere Komponisten hätten es vielleicht mit einem anderen Libretto probiert. Aber nein, Beethoven hat es einfach nicht aufgegeben, sondern gleich mehrfach überarbeitet. Bis 1814. Mir wurde klar: Es muss etwas mit ihm zu tun haben. Er hat sich auch anderen grossen Themen genähert, wie Faust und Macbeth – aber es blieb bei diesem Fidelio. Ich denke, wenn man eine Oper komponieren möchte, muss man sich in einen Charakter einleben können, auch in einen, der nichts mit einem zu tun hat. Aber da Beethoven ziemlich egozentrisch war und sozial sicher nicht sehr einfühlsam, wählte er möglicherweise ein Stück, das ihm persönlich sehr nahe stand.

Wo kommen sich Beethoven und sein «Fidelio» besonders nahe?

Es gibt verschiedene grosse Themenbereiche. Da ist zum einen die humanistische Idee Beethovens, die Utopie, dass alle Menschen gleich sind und in Freiheit leben können. Ausserdem gibt es die Idee der Liebe als eheliche Treue, ein Ideal, das er selbst nie erreichen konnte. Die Frau, die ihn aus dieser Einsamkeit befreit. Isoliertheit an und für sich ist auch ein Thema, nicht nur die soziale Abkapselung, sondern auch, weil er dann taub geworden ist. Und wenn man sich das alles so vorstellt, dann denke ich: Ja, es dreht sich eigentlich um ihn.

Die Musik wird in neue Texte eingebettet sein. Was sind das für Texte?

Eine Sammlung von Zitaten aus seinen Briefen und Notizen, aber auch aus seinem «Heiligenstädter Testament». Durch die Verwendung seiner eigenen Stimme ist es möglich, die Erfahrung zu vermitteln, dass «Fidelio» nur von Beethoven komponiert werden konnte und dass er genau diese eine Oper komponieren musste.

Da Beethoven ziemlich egozentrisch war und sozial sicher nicht sehr einfühlsam, wählte er möglicherweise ein Stück, das ihm persönlich sehr nahe stand.

Warum haben Sie sich für diese Texte entschieden?

Zuerst einmal geht es um seine Kunst, die Musik, das war für ihn wahrscheinlich das Allerwichtigste. Hinzu kommen Textfragmente, die mit seinen komplizierten Beziehungen zu tun hatten, mit seinen vielen kurzen Affären – bis hin zu dem berühmten Brief an die «Unsterbliche Geliebte». Ausserdem gibt es Beschreibungen zur politischen Situation, zu seinen Ideen, aber auch zu seinen Sorgen. Wir haben die Texte so aufgebaut, dass sie mit dem Stück mitlaufen. Denn am Anfang hat das Werk eher etwas von einer Komödie als von einem grossen Drama. Entsprechend sind zu Beginn auch die Texte eher leicht und lustig, sie werden dann aber zunehmend schwerer und vermitteln die Tragik dieses Künstlerlebens. Und wenn sich Text und Musik schliesslich in einem Melodram überlagern, spricht auch noch die Musik. Dann wird die Parallele zwischen Beethovens Oper und seiner Biografie sehr klar.

Gibt es Facetten von Beethoven, die Sie neu entdeckt haben?

Sein Umgang mit Menschen hat mich doch überrascht. Er hat nicht unterschieden, wenn es um Menschen aus höheren Ständen ging, die ihn unterstützt haben. Es ist überhaupt kein Respekt wahrnehmbar, im Gegenteil. Wir haben auch ein Zitat dazu drin: «Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt; was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen!» Das finde ich für diese Zeit schon unglaublich.

Unser Publikum wird sich vielleicht an Ihre Inszenierung von Haydns «Lo Speziale» erinnern, wo Sie die gesamte Handlung um einen winzigen Fiat 500 herum gebaut haben. Wo wird Ihr «Fidelio» spielen? Im Original ist es ein Gefängnis …

Unser «Fidelio» wird natürlich auch im Gefängnis stattfinden. Bei halbszenischen Aufführungen ist es aber so: Man reduziert nicht nur die Inszenierung, sondern es ist eigentlich ein Konzert, und man fügt Elemente hinzu, kleine Sachen, welche die Fantasie anregen, sodass sich die Leute dann doch eine ganze Welt vorstellen können.

Kostümentwürfe von Selina Tholl

Die Grundidee ist, dass es schlichte Kostüme sind, und zwar alle in der Basis gleich. Damit sind wir bei der utopischen Idee von Beethoven: Alle Menschen sind gleich.

Welche Bedeutung hat Licht für Sie als Regisseurin?

Licht ist unfassbar wichtig. Mit Licht kann man alles machen – oder alles kaputt machen (lacht). Spannung, Emotionen. Oft nimmt das Publikum gar nicht so wahr, was eigentlich alles mit dem Licht passiert, aber man kann alles manipulieren und steuern. Und im Falle von «Fidelio» ist es sehr wichtig, weil es um zwei Welten geht: Die Szenerie von «Fidelio» und die Stimme von Beethoven. Also muss ich diese zwei Welten trennen, sonst versteht man es nicht. Und das passiert mit Licht.

Ausserdem wird es Kostüme von Selina Tholl geben. Welche Idee steckt hinter diesen Kostümen?

Die Grundidee ist eigentlich, dass es schlichte Kostüme sind, und zwar alle in der Basis gleich. Damit sind wir bei der utopischen Idee von Beethoven: Alle Menschen sind gleich. Mit einigen Details wird dann angegeben, wer welche Person ist. Zum Beispiel, wer im Gefängnis eine Funktion hat oder wer der Gouverneur ist. Und die Kostüme sind auch für Männer und Frauen gleich. Alle haben Hosen an.

Gibt es eine Figur, die Ihnen in Ihrer Auseinandersetzung besonders ans Herz gewachsen ist oder die Sie neu entdeckt haben?

Ja, dieser Florestan. Denn in unserer Interpretation ist er eigentlich Beethoven. Diese Parallelen zu ihm, das war für mich die Neuentdeckung. Früher hiess die Oper ja «Leonore». Und sie ist unser «Fidelio». Ich würde die Oper «Florestan» nennen (lacht).

Erinnern Sie sich, wann Sie zum ersten Mal mit dem «Fidelio» in Berührung gekommen sind?

Ich weiss noch, als Kinder hatten wir zu Hause die «Zauberflöte», und die haben wir kaputtgedreht auf dem Schallplattenspieler. Ich fand das fantastisch. Und dann hatten wir auch «Fidelio», aber von diesem Werk war ich irgendwie enttäuscht. Ich fand es so unverständlich und auch langweiliger, so eine andere Welt als diese «Zauberflöte», das war für mich Oper.

Gab es dann noch eine Annäherung?

Ja, durch Aufführungen, die ich besucht habe. Und dann habe ich dazu im Feuilleton gelesen. Aber diese intensive Auseinandersetzung jetzt ist eine grosse Chance, das Werk und Beethoven richtig kennenzulernen. Wirklich nahe kommt man Komponisten aber erst durch ihre Musik.

Also hören Sie zur Vorbereitung auch verschiedene Aufnahmen?

Zuerst muss ich natürlich den Text studieren. Ich muss wissen, worum es eigentlich geht. Und dann ist für mich die Musik unglaublich wichtig. Die Inspiration hole ich mir aus ihr. Immer. Ich höre mir ganz verschiedene Aufnahmen an – wobei ich da auch meine Vorlieben habe.

Zum Beispiel?

Mir gefallen etwa die Aufnahmen mit Claudio Abbado oder mit Nikolaus Harnoncourt. Aber verschiedene Aufnahmen sind zum Beispiel wichtig für die Tempi. Die Tempi sind entscheidend, weil sie auch auf eine Szene unheimlichen Einfluss haben. Wenn etwas zu langsam ist, dann ergibt sich auch eine andere Atmosphäre – oder sogar ein anderer Inhalt. Das ist eine Schwierigkeit: Ich bin die Regisseurin, aber ich bin nicht der Dirigent. Und am Schluss ist es der Dirigent, der das bestimmt. Es ist einfach sehr faszinierend.

Wie würden Sie den Austausch mit Paavo Järvi beschreiben?

Ich habe noch nicht mit ihm gearbeitet, und ich freue mich sehr darauf. Er ist ein unglaublich toller Dirigent und Musiker. Ich bin gespannt, wie er diese Sachen angeht und was er mit den Musiker*innen und Sänger*innen bespricht. Bei halbszenischen Aufführungen haben wir wenig Zeit zusammen.

Wenige Tage ...

Ja, bei grossen Produktionen hat man spezielle Regie-Proben und vielleicht sechs Wochen Zeit. Wir müssen im Vorhinein schon ein bisschen bestimmen, was passiert. Aber trotzdem möchte ich allen auf der Bühne auch die Freiheit geben, dass sie sich äussern können, wie sie und Paavo Järvi das gerne umsetzen wollen. Ich möchte da nicht im Weg stehen. So werden wir gemeinsam Bild für Bild zusammensetzen zu einer Art Tableau. Das ist auch für ein neues Publikum eine schöne Ergänzung, das heute stärker visuell eingestellt ist. Aber am Ende ist es die Musik, die im Vordergrund steht.

Beethovens «Fidelio»

Im Zentrum der Oper stehen Florestan, der als politischer Gefangener in Don Pizarros Gefängnis eingesperrt ist, und seine Ehefrau Leonore, die nach ihm sucht. Dazu verkleidet sie sich als Mann, nennt sich Fidelio und schleust sich als Gehilfe des Kerkermeisters Rocco ins Gefängnis. Roccos Tochter Marzelline verliebt sich in «Fidelio». Im dramatischen Schlussteil will Don Pizarro Florestan umbringen, Leonore wirft sich dazwischen – da wird der Minister angekündigt, der alles Unrecht beendet und die Gefangenen befreit.

Juni 2023
So 18. Jun
17.00 Uhr

Paavo Järvi mit «Fidelio»

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Jacquelyn Wagner Sopran – Leonore, Michael Schade Tenor – Florestan, Christof Fischesser Bass – Rocco, Katharina Konradi Sopran – Marzelline, Patrick Grahl Tenor – Jaquino, Shenyang Bassbariton – Don Pizarro, Tareq Nazmi Bariton – Don Fernando, Stefan Kurt Sprecher, Zürcher Sing-Akademie, Florian Helgath Einstudierung, Sebastian Breuing Einstudierung, Eva Buchmann Konzept, Regie, Ben Hurkmans Dramaturgie, Selina Tholl Kostüme Beethoven
Fr 16. Jun
19.30 Uhr

Paavo Järvi mit «Fidelio»

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Jacquelyn Wagner Sopran – Leonore, Michael Schade Tenor – Florestan, Christof Fischesser Bass – Rocco, Katharina Konradi Sopran – Marzelline, Patrick Grahl Tenor – Jaquino, Shenyang Bassbariton – Don Pizarro, Tareq Nazmi Bariton – Don Fernando, Stefan Kurt Sprecher, Zürcher Sing-Akademie, Florian Helgath Einstudierung, Sebastian Breuing Einstudierung, Eva Buchmann Konzept, Regie, Ben Hurkmans Dramaturgie, Selina Tholl Kostüme Beethoven
veröffentlicht: 10.06.2023

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