Alte Musik mit anderen Ohren hören und Neue Musik in Beziehung zu ihr setzen: Das ist das Ziel von Bryce Dessner und David Chalmin.
Ist es Zufall oder Kalkül, dass sich «Electric Fields» ausschliesslich um Frauen dreht? Die Frage geht an unseren Creative Chair Bryce Dessner. Weder noch, meint er: «Es ist Können.» Man denke doch oft nur an männliche Komponisten und scheue sich, die weiblichen genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei gibt es einige, die ein bedeutendes Erbe hinterlassen haben. So auch die drei, um die es in diesem Konzert geht. Und dann sind da die drei Interpretinnen, die Pianistinnen Katia und Marielle Labèque sowie die Sängerin Barbara Hannigan – für ihn die «Königinnen» der klassischen Musiker*innen. «Sie sind voller Energie, dynamisch, intelligent», so Dessner weiter. Die drei, für die er zusammen mit David Chalmin das Projekt «Electric Fields» konzipiert habe, seien «einfach genial»: wichtige und kraftvolle Künstlerinnen, die einiges in ihrem Leben bewegt haben.
Die Idee zu dem Projekt kam von Barbara Hannigan. Sie suchte die Werke von Hildegard von Bingen aus. Diese Universalgelehrte, die im 12. Jahrhundert als Äbtissin in einem deutschen Kloster lebte, fasziniert sie. Eine erstaunliche Frau, die zeit ihres Lebens mystische Visionen hatte, Schriften über himmlische Systeme und Theorien der unendlichen Verbindung verfasste – und auch komponierte. In Kombination mit den frühbarocken Werken von Barbara Strozzi und Francesca Caccini entstand dann dieses Projekt.
Bryce Dessner und David Chalmin durchqueren damit die Jahrhunderte, mithilfe der Inspiration von alten Liedern, Melodien und Texten. Darauf setzen sie ihre eigene zeitgenössische Perspektive und katapultieren die Alte Musik mit der modernen Instrumentierung in die Gegenwart. Eine Reise, klanglich und melodisch, ausdrucksstark und einzigartig, wie Bryce Dessner sagt: «Das Alte bringen wir in die Moderne, es entstehen neue Klangwelten, die beiden Stilen gerecht werden – für mich ist das eine poetische Entwicklung.»
Mit «Electric Fields» ist ein immersives und multimediales Konzert entstanden, bei dem die Musik durch Live-Videos, Lichtprojektionen und elektronische Effekte, die auf die Künstler reagieren, eingerahmt wird. Der Live-Elektroniker David Chalmin wird Klangschichten über Bryce Dessners Musik legen.
Schon in den vergangenen Monaten war Bryce Dessner in ganz unterschiedlichen Rollen zu erleben. Dieses Projekt zeigt nun noch einmal eine neue Facette seines Schaffens. «Er ist der perfekte Creative Chair, wenn es darum geht, die Bandbreite der klassischen Musik auszuloten, sie mit anderen Stilen oder Epochen zu konfrontieren », sagt Marc Barwisch, Leitung Künstlerischer Betrieb. Das mache dieses Projekt so spannend, weil es dadurch auch ein anderes Publikum anspreche.
Das Auftragswerk des Los Angeles Philharmonic wurde im November 2022 uraufgeführt, letzten April in der Elbphilharmonie aufgenommen und gastiert nun im April 2024 an einem Wochenende zwei Mal in der Tonhalle Zürich.
