Porträt

Ein federleichter Cellokasten

Cellist Paul Handschke ist eines der jüngsten Mitglieder des Tonhalle-Orchesters Zürich. Dabei hat er in seiner Jugend viel öfter Posaune gespielt, und hatte auch sonst neben der Musik allerhand im Kopf. Ein Wunderkind? Nein, sagt er.

Melanie Kollbrunner

Paul gähnt. Dabei ertappt, entschuldigt er sich höflich. Er sei gestern ein bisschen lange sitzengeblieben mit seinen Mitbewohnern. Der Münchner wohnt im Zürcher Seefeld mit zwei weiteren Musikern. Er mag Fussball, mag Bier, und er mag Autos. Daheim, da steht jetzt ein Kickerkasten, der werde den Dreien noch zum Verhängnis, meint Paul, immerhin brauche es jeweils einen Vierten, Besuch also. Wäre er Fussballer geworden, wenn nicht Cellist? «Eher Fahrlehrer.» Paul lacht sein herzliches Lachen.

Paul ist rasant, dabei aber beschwingt unterwegs: Seine Geschichte klingt nach der eines Sonntagskinds. Seine Mutter Klavierlehrerin, sein Vater studierter Hobbygeiger, bekam er mit fünf Jahren erstmals ein Cello in den Arm. Ein grosses Glück, dass die Cellostimmen in Trios oft die technisch einfachsten seien: Schon mit acht konnte er mit seinen Eltern musizieren, «mukken», wie er sagt. Als Jüngster von drei Buben am grünen Stadtrand aufgewachsen, verliess er München nur, um in Zürich zu studieren. Die Wahl des Lehrers fiel auf Thomas Grossenbacher, der heute Pauls Register leitet, das Orchester aber nach dieser Saison verlassen wird, um sich noch stärker auf die Lehre zu konzentrieren. Es hat auf Anhieb geklappt, Thomas Grossenbacher nahm ihn, der damals eigentlich fast geübter war im Posaunen: Er spielte in Bigbands, spielte Jazz, spielte Funk. Gigs hier, Gigs da. Von seiner Erfahrung als Bläser im Orchester damals profitiere er heute sehr, der Perspektivenwechsel erweitere den Blick, das Ohr. Am wohlsten aber ist ihm mittendrin mit seinem Cello, da, wo der Kontakt zu den Musikerinnen und Musikern einfach intensiver sei, als aussen am Rand, wo der Klang nach oben und hinten abrausche.

Mehr geht immer

Fast wäre Paul eins geworden, ein Sonntagskind: Der 23. Januar 1993 war aber ein Samstag und sein Weg nicht ganz so aalglatt, wie er auf den ersten Blick scheine: «Natürlich habe ich mit musikalischen Rückschlägen gekämpft.» Er hat sich hier und da über sich selbst geärgert, wenn mehr dringelegen wäre. Wie damals, als er in Zürich erstmals zum Unterricht aufspielte: «Thomas war so nett und ich furchtbar, plötzlich schrecklich nervös.» Er studierte fünfeinhalb Jahre bei ihm, schloss Bachelor und Master ab. Man bleibe möglichst lange bei ihm, um von seiner grundsoliden Ausbildung zu profitieren.

Er ist heute sehr dankbar, dass er sich für das Cello entschieden hat, das ihm zwar näher gelegen sei als die Posaune, ihm letztlich aber vor allem sicherer erschien: «Als Streicher kommt man eher unter, weil es mehr davon braucht». Paul kam leicht unter: Nach ein paar Praktika und Vertretungsstellen gelang es beim ersten Vorspiel – Paul gehört seit 2018 in einer 50%-Anstellung zur Orchesterfamilie und lässt sich weiter parallel unterrichten bei einem Grossenbacher-Schüler an der Musikhochschule in München: Bei Maximilian Hornung.

Unbescheiden auf der Bühne

An diesem Winternachmittag sitzt Paul weit in seinen Stuhl versunken im Kaputzenpulli bei Cappuccino, erzählt vom Kartenspielen mit Freunden und Fussballtreffs mit Orchesterkollegen und von Wanderferien mit seiner Freundin, die auch von Thomas Grossenbacher unterrichtet wurde. Er muss dann irgendwann los, später steht Tschaikowsky auf seinem Programm, die Zweite und die Fünfte Sinfonie, dirigiert vom neuen Chef, für den er schwärmt.

Erst neulich sass Paul im Konzert bei den Berliner Philharmonikern: «Wenn die Streicher Gas geben, dann kommt eine Klangwelle auf einen zu, der kann keiner ausweichen», elektrisierend sei das. «Das geschieht jetzt auch bei uns, dass die Streicher diese Kraft freisetzen. Das Orchester hat dieses enorme Potential, das Paavo jetzt Stück für Stück freilegt.» Es könne aber noch mehr sein, sagt er. Spricht er von der Musik, bekommen seine Worte Gewicht. Und doch korrigiert er sich sofort: Das sei ja nur eine Ahnung, er sei schliesslich noch nicht so lange dabei im Orchester und wolle sich kein Urteil erlauben.

«Ein toller Musiker», hört man indessen bei einer Kollegin

«Den Paul hat man gern», sagt ein Kollege. Gelobt wird sein ausdrucksstarker Ton, der immer wieder auch in kammermusikalischer Formation zu hören ist. Der wichtigste Rat, den Paul unterwegs erhalten hat: «Auf der Bühne hat Bescheidenheit nichts verloren.» Das sagte ihm Thomas Grossenbacher. Daran denkt Paul oft. Zumindest neben der Bühne nämlich scheint er grundbescheiden.

veröffentlicht: 23.05.2020