Christopher Whiting (Foto: Gaëtan Bally)
Publikumsorchester

«Die erste Probe ist jeweils ein Schock»

Seit 2018 leitet der Geiger Christopher Whiting das Publikumsorchester in der Tonhalle Zürich.

Susanne Kübler

Oben wird gespielt, unten zugehört: So ist es die Regel in Konzertsälen. Aber irgendwann, so erzählt der Violinist Christopher Whiting, habe er eine Vision gehabt: «Wie wäre es, wenn wir die Plätze tauschen würden? Wenn das Orchester im Saal sässe, und das Publikum würde musizieren?»

Dass gerade er auf diese Idee kam, war kein Zufall. Neben seinem Job als Geiger im Tonhalle-Orchester Zürich hat er nicht nur Dirigierkurse bei David Zinman besucht und das Orchester bei Zugaben oder Familienkonzerten dirigiert, er hat auch früh schon Laienorchester geleitet – Quartier-Orchester, Ärzte-Orchester. Oft sah er «seine» Musiker*innen in der Tonhalle Zürich im Publikum sitzen. Dieses oder jenes Werk wäre etwas für sie, habe er dann jeweils gedacht. Bis aus dem Gedanken ein Konzept wurde.

Dabei blieb es, etwa 15 Jahre lang. Das Projekt eines Publikumsorchesters stiess zwar bei verschiedenen Intendanten auf Interesse, aber erst Ilona Schmiel setzte es tatsächlich um. Zunächst war es eine Zitterpartie, erinnert sich Christopher Whiting: «Wir wussten ja nicht: Melden sich tausend Leute oder niemand? Oder nur Klarinetten?» Es sei dann aber auf Anhieb gut aufgegangen, «die Anmeldungen entsprachen fast exakt der Besetzung, die wir brauchten». 2018 hatte das Orchester seinen ersten Auftritt, mit Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5.

Nun geht das Publikumsorchester, das zwischendrin wegen Corona aussetzen musste, in die vierte Runde. Etwa zwei Drittel der gut 100 Musiker*innen waren bereits einmal dabei, der Rest ist neu. Manche kommen allein, aber es sind auch Ehepaare dabei, ehemalige Ehepaare, ganze Familien, Geschwister. Christopher Whiting erzählt von Brüdern, die zusammen eine Schmiede betreiben, «die sind natürlich Blechbläser: der eine Posaunist, der andere Hornist». Einmal hätten sie ihm als Dankeschön ein Hufeisen geschmiedet.

Gemeinsam ist allen, dass sie ein Abonnement für Konzerte des Tonhalle-Orchesters Zürich gelöst haben – das ist die Bedingung fürs Mitmachen. Wobei es durchaus vorkommt, dass jemand extra ein Abo kauft, um mitspielen zu können. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie die Herausforderung suchen. Denn der Dirigent macht es dem Publikumsorchester nicht leicht: Das Repertoire ist anspruchsvoll, die Proben sind intensiv. Es beginnt mit Workshops und Registertreffen, als Coaches sind Musiker*innen des Tonhalle-Orchesters Zürich eingespannt. «Die erste Probe ist jeweils ein Schock», sagt Whiting, «für das Orchester, für die Coaches, auch für mich – wobei ich mittlerweile weiss, dass es dann schon gut kommt».

Es ist nun einmal auch für gute Laien anspruchsvoll, in einem Orchester zu spielen: «Die eigene Stimme zu beherrschen, ist das eine – dazu muss man dann auch noch anderen zuhören, sich anpassen und einfügen können.» Drei Wochen Zeit hat man bis zur Aufführung, die nicht perfekt sein muss; «das Ziel ist: So gut wie möglich».

Diesmal peilt er es an mit Edouard Lalos «Symphonie espagnole» und den «Planets» von Gustav Holst. Vor allem die «Planets» sind heikel, «da gibt es eine Unisono-Stelle für die Hörner – dass die wirklich unisono klingt, das ist schwierig.» Aber man wird sich dem Ideal annähern, Schritt für Schritt. Und wenn dann nach dem ersten Schreck, den Zweifeln und der ganzen Arbeit die Aufführung glückt: «Dann ist das wirklich ein euphorischer Moment.»

Mai 2023
So 21. Mai
17.00 Uhr

Publikumsorchester

Publikumsorchester, Christopher Morris Whiting Leitung, Musiker*innen des Tonhalle-Orchesters Zürich , Andreas Janke Violine Lalo, Holst
veröffentlicht: 09.05.2023

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