Sie koordinieren die K+S-Schüler*innen: Martin Schmid und Regula Meili. (Foto: Gaëtan Bally)
Kunst und Sport Gymnasium Rämibühl

Schule der besonderen Talente

Koordinieren, coachen und loslassen – das sind einige der Aufgaben von Regula Meili und Martin Schmid am Zürcher Kunst und Sport Gymnasium Rämibühl.

Katharine Jackson

«Ein intensives Hobby – bitte sagen Sie sowas nicht gegenüber unseren Schülern, das würden die als total despektierlich empfinden. Für unsere K+S-ler ist das wirklich kein Hobby. Das ist Leistungssport!» Diesen Rat gibt Regula Meili, wenn sie empathisch, respektvoll und voller Herzblut in ihrem nüchternen Büro über ihre ausserordentlich talentierten Schüler*innen am Kunst und Sport Gymnasium Rämibühl (K+S Gymnasium) spricht.

Das K+S Gymnasium, das nicht weit von der Zürcher Innenstadt liegt, ist dem Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium Rämibühl (MNG) angegliedert. Schüler*innen des K+S Gymnasiums (K+S-ler) und MNGs werden von denselben Lehrkräften unterrichtet und allen wird derselbe Schulstoff vermittelt. Es werden – in fünf statt vier Jahren – die gleichen Anforderungen wie an konventionellen Kurzgymnasien erfüllt. Es kann aber nur K+S-ler sein, wer neben der gymnasialen Ausbildung eine Sonderbegabung im Bereich Musik, Tanz oder Sport äusserst intensiv pflegt.

Kunst und Sport Gymnasium Rämibühl (Foto: Gäetan Bally)

Regula Meili arbeitet an beiden Gymnasien in unterschiedlichen Funktionen. Sie ist Italienisch-, Französischund derzeit auch Klassenlehrerin am MNG. Und sie arbeitet am K+S Gymnasium, leitet das vierköpfige Koordinationsteam und ist seit den Anfängen dabei. Koordinieren – mit diesem Wort assoziiert man spontan nicht junge Erwachsene, die sich selbst noch suchen müssen und sich ausprobieren dürfen. Die K+S-ler entwickeln und perfektionieren in dieser ohnehin schon dynamischen Lebensphase ihre besonderen Begabungen. «Das K+S Gymnasium stellt hierfür neben einer guten Betreuung den Freiraum für Trainings und Wettkämpfe zur Verfügung», heisst es auf der Webseite.

Um mit all diesen Aufgaben, Herausforderungen und Talenten umgehen zu können, ist für die K+S-ler die Koordination zentral. Klingt technisch, ist hier aber essenziell. Damit die K+S-ler die anspruchsvolle Doppelausbildung erfolgreich bewältigen können, werden sie von den K+S-Koordinatoren begleitet. Also u. a. von Frau Meili, welche die Schüler*innen rund um die Sportarten Eiskunstlauf und -tanz, Fussball, Kampfsportarten, Kunstturnen, Radsport, Skateboard, Sportklettern, Squash, Tennis, Volleyball, Wasserspringen und Wasserball unter ihre Fittiche nimmt.

Manchmal wie ein Coach

Für die Schüler*innen, die ihr ausserordentliches Talent für ein Instrument oder den Tanz parallel zur Schule voranbringen können, ist als ein weiterer Koordinator Martin Schmid zuständig. Der Musiklehrer hat heute Geburtstag. Für seine Kolleg*innen hat er im Lehrerzimmer Mandarinen und Trockenfrüchte auf dem langen Stehtisch vorbereitet. Die Tage sind auch für die Lehrer*innen voll, aber für einen Kaffee und einen Schwatz bleibt Zeit. Auch um sich über die Schüler*innen auszutauschen, denn man will wissen, wie es ihnen geht und wie man Schule und Sport oder Instrument für den jeweiligen K+S-ler optimal aufeinander abstimmen kann. Jede*r ist anders, hat als Tänzer, Flötistin, Unihockey-, Tennis- oder Golfspieler individuelle Herausforderungen, die sich bei einem Motivationseinbruch, bei Essstörungen, Schlafmangel oder nach einer Verletzung abrupt oder auch schleichend ändern können. Das hat dann grosse Auswirkungen.

«Wir können pro Jahrgang maximal 48 Kinder aufnehmen. Ein Jahrgang beinhaltet einen bis fünf Musiker, drei bis sechs Tänzer und der Rest sind Sportler».

«Wenn sich zum Beispiel Athletinnen verletzen – Kreuzbänder sind da ein grosses Thema – kommt alles im Leben durcheinander. Sie verlieren einerseits ihr Selbstverständnis als Sportlerin, anderseits haben sie plötzlich ganz viel Zeit, die sie füllen müssen. Man kann in dem Alter auch zu viel Zeit haben und macht sich dann viele Gedanken. Wir Koordinatoren sind in solchen Situationen auch ein Stück weit Coach. Es geht beispielsweise darum, mit der Athletin zu besprechen, wie sie mit der Motivation dranbleibt für das, was sie sich mal vorgenommen hat. Wie können wir sie wieder auf die Bahn bringen? Wir stützen, führen viele Gespräche, erklären in alle Richtungen und sind das Bindeglied zwischen der Schule und den Trainern», erläutert Regula Meili.

«Wir können pro Jahrgang maximal 48 Kinder aufnehmen. Ein Jahrgang beinhaltet einen bis fünf Musiker, drei bis sechs Tänzer und der Rest sind Sportler», so Regula Meili. Daraus ergeben sich in fünf Jahrgängen um die 250 K+S-ler. Frau Meili und Herr Schmid betreuen als Koordinatoren jeweils ca. 70 Schüler*innen. Beide sind seit den Anfängen des Programms 2000/01 dabei, seit 2005 ist das K+S Gymnasium Swiss Olympic Partner School und heute sind sie zu viert im Koordinationsteam.

«Sie sind wahnsinnig gut»

Was hat sich seit der Gründung vor fast einem Vierteljahrhundert verändert? Die beiden sind sich einig, dass die Zusammensetzung der Schüler*innen variiert. Früher gab es mehr Orientierungsläufer und zurzeit sind Unihockey und Sportklettern en vogue. Bei den Instrumenten bleiben die Violine und das Cello in der Beliebtheit stabil. Erstmalig gibt es eine Kontrabassistin, die Bläser sind selten, es gibt regelmässig Gitarristen. «Was sich im Verlauf der Jahre aber stark verändert hat, sind die Ansprüche an das Instrument. Das Niveau der jetzigen Jahrgänge ist höher als das der früheren», resümiert Martin Schmid, der schon vor dem Beginn des Programms Lehrer am MNG war und noch immer sehr angetan ist von seinen Schüler*innen. «Sie sind wahnsinnig gut. Ich finde Leistung wichtig, aber von einem primitiven Leistungsgedanken distanziere ich mich. Ich denke nicht elitär oder nur leistungsbezogen. Im Sport beobachte ich, dass es schon sehr angekommen ist, dass es ein Setting braucht, in dem sich jemand verwirklichen kann. Dass sich junge Menschen verwirklichen können, ist mir hier das Wichtigste.»

Der Fressschrank in Regula Meilis Büro. (Foto: Gaëtan Bally)

Einen Einblick in ihre Welten geben einige K+S-ler im Imagefilm der Schule. Darin erklären u. a. Kanusportlerin Ladina, Tänzer Luis und Handballgoalie Ramon, was die Ausbildung an dieser Schule für sie bedeutet. Deborah Schmid, die neben der Schule seit 2019 Jungstudentin für Querflöte an der Zürcher Hochschule der Künste ist, erzählt enthusiastisch: «Wenn ich Musik mache, bin ich in einer eigenen Welt. Ich spiele, weil es mir Spass macht. Man kann mit der Musik so viel erzählen. Ich habe mich dafür entschieden, weil ich das möchte: So viel Musik machen, so viel üben und gleichzeitig trotzdem in ein Gymi gehen. Die Lehrpersonen sind mega offen. Sie helfen und unterstützen einen. Jeder hat den Druck und die Erwartungen von einem selbst und von den anderen. Weil das jeder aus der Klasse hat, ist es ein Gemeinschaftsgefühl. Man kann mit jedem reden und sie verstehen dich wirklich.»

Lernen auf verschiedenen Ebenen

Für Deborah und alle anderen findet der Wochenunterricht an nur sechs Halbtagen statt. Der Stundenplan reduziert sich für die K+S-ler auf ca. 23 Lektionen. Deshalb dauert die Schulzeit am Kurzgymnasium für die K+S-ler fünf Jahre, also ein Jahr länger als üblich. Die «freie» Zeit steht für die sportliche, tänzerische oder musikalische Ausbildung zur Verfügung. «Diese erfolgt hauptverantwortlich in den Nachwuchsförderstrukturen der Sportverbände bzw. Tanzschulen und im Rahmen des PreCollege der Zürcher Hochschule der Künste», wie es auf der Webseite der Schule heisst.

Seit dem Schuljahr 2022/23 bietet das K+S Gymnasium den vierten und fünften Klassen zusätzliche Flexibilität, mit denen die K+S-ler umgehen dürfen und müssen. An zwei Tagen findet kein Präsenzunterricht statt, je nach Semester erarbeiten die Schüler*innen den Stoff ortsund zeitunabhängig. Die Fähigkeit, sich selbständig zu organisieren, wird hier gefördert und gefordert. Lernplattformen, die in der Pandemie entstanden sind, haben diese Entwicklung begünstigt. «Blended Learning» heisst die Kombination aus Präsenz- und Online-Lernen. Ganz schön viel zu lernen an ganz schön langen Tagen.

Der Fressschrank

Manchmal braucht es dann etwas Schnelles für Zwischendurch, einen Energieschub, bevor es von der Schule in das Training geht oder das Angebot der Schulmensa nicht so überzeugt. Auch da ist Frau Meili die Anlaufstelle, denn in ihrem Einzelbüro gibt es einen «Fressschrank», wie sie diesen informellen Treffpunkt nennt. Er ist gefüllt mit Honig-Reis-Waffeln, Schoggistängeli, Vollkorn- Crackern und Eistee. Hier dürfen sich Schüler*innen bedienen, während sich Frau Meili noch mit ihnen kurz darüber austauscht, wie der Wettkampf in Ägypten war – «Gratuliere!» –, wann das nächste Trainingslager ansteht und ob eine Schulprüfung verschoben und nachgeholt werden muss. «Hier gibt es die coolen Begegnungen», meint Frau Meili zu den Augenblicken zwischen Tür und Angel. Und wie ist es über die Zeit gesehen? «Also die Maturfeier ist immer ein besonderer Moment. Du hast sie fünf Jahre begleitet, wir kennen uns gut und dann verabschiedet man sie. Wir haben dann zehn Tage Zeit, bis die Neuen kommen. Es ist immer ein Loslassen.»

veröffentlicht: 26.06.2024

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