Víkingur Ólafsson (Foto: Markus Jans)
Im Fokus 2024/25

Víkingur Ólafsson

Klavier / * 1984 Reykjavík, Island

Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson spielt Werke von Brahms bis Adams. Für ihn ist der Flügel ein Portal, das einen an unglaublich verschiedene Orte bringen kann.

Wer ist unser diesjähriger Fokus-Künstler? Entdecken Sie es im folgenden Fragebogen! Er basiert auf den legendären Vorlagen von Marcel Proust und Max Frisch, die auf spielerische Art wichtige und vermeintlich unwichtige Fragen kombinieren. Dazu haben wir einige musikalische Fragen ergänzt.

Fragebogen

Wo würden Sie gerne leben?

Genau dort, wo ich lebe: in Island, zwischen Amerika und Europa. Es ist ein wunderbares Land, ich liebe die verschiedenen Jahreszeiten, die Dunkelheit im Winter und die hellen Nächte im Sommer. Aber das Wichtigste ist, dass meine Familie hier lebt. Ich finde es wunderbar, meine beiden 3- und 5-jährigen Jungs hier aufzuziehen. Es ist ein friedlicher Ort, trotz der Vulkane und Erdbeben.

Welche Fehler würden Sie am ehesten entschuldigen?

Die Fehler der anderen.

Ihr liebster Romanheld?

Das ist ein Typ namens Bjartur. Er ist der Protagonist in meinem Lieblingsroman «Independent People»; geschrieben hat ihn Halldór Laxness, der einzige isländische Literatur-Nobelpreisträger. Dieser Bjartur ist ein unglaublich sturer Bauer, der sowohl gegen die isländische Natur als auch gegen die isländische Gesellschaft ankämpft. Er ist ganz bestimmt nicht sein eigener bester Freund. Aber in ihm spiegelt sich vieles, was das isländische Volk als Ganzes betrifft – auch wenn wir nicht ganz so schwierig sind wie Bjartur.

Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?

Diese Frage kann man nicht beantworten. Aber sagen wir: Meine Mutter. Auch wenn sie keine historische Bedeutung im eigentlichen Sinn hat, so hat sie doch meine eigene kleine Geschichte und die Art, wie ich die Welt wahrnehme, geprägt. Wenn ich dann noch eine zweite Lieblingsfigur nennen müsste, wäre das Ludwig van Beethoven.

Ihr Lieblingsdesigner*in/-künstler*in?

Auch auf diese Frage könnte ich 5000 verschiedene Antworten geben! Aber gut, ich beschränke mich auf eine und nenne den finnischen Architekten Alvar Aalto. Mein Vater ist Architekt und ich sehe Architektur als Kunstform. Aalto fasziniert mich unendlich. Seine organischen Formen, die perfekte Beziehung zwischen Disziplin und Fantasie in seinen Entwürfen, die Art, wie seine Strukturen das menschliche Dasein zu erheben scheinen und dennoch unaufdringlich und bescheiden bleiben – das inspiriert mich.

Ihre wichtigste Charaktereigenschaft?

Grosszügigkeit.

Ihre Lieblingsblume?

Das Hasenglöckchen. Man findet es hier oben in der isländischen Wildnis. Ich freue mich immer, wenn ich es sehe.

Welche natürliche Gabe würden Sie gerne besitzen?

Ich wäre gern ein Dichter. Ich hätte gern die Fähigkeit, Worte so zu organisieren, dass sie nicht mehr Worte sind, sondern Dichtung.

Hätten Sie gerne ein absolutes Gedächtnis?

Nur für die guten Dinge! Bei den anderen wäre es wundervoll, wenn man sie vergessen könnte. In diesem Sinn hätte ich gern ein selektives absolutes Gedächtnis.

Wie alt würden Sie gerne werden?

Als Kind war ich besessen vom Tod. Ich war sieben Jahre alt, als meine ältere Schwester zehn wurde, und ich erinnere mich, dass ich dachte: Sie muss so dankbar sein, dass sie das geschafft hat. Ich war überzeugt, dass ich vorher sterben würde. Ich habe sogar geträumt, dass ich in einem Spital liege und sehe, wie die Kurve auf meinem Herz-Monitor zu einer flachen Linie wird. Ich wachte auf mit Tränen in den Augen. Aber dann wurde ich tatsächlich zehn, und dann 20 und 30 und nun 40. Jetzt würde ich sehr gerne 100 werden, das wäre eine schöne Zahl. Natürlich hängt es von der Gesundheit ab, und davon, ob man glücklich ist. Aber denken Sie an Menschen wie den Komponisten György Kurtág, der kürzlich 98 geworden ist – wenn man immer noch kreativ ist mit 98, ist das ein enormes Geschenk.

Reisen Sie gerne?

Ja, tatsächlich, Sie können es glauben oder nicht! Ich mag es, an einem neuen Ort anzukommen. Oder an Orte zurückzukehren, an denen ich schon oft war und die ich dann mit frischen Augen neu entdecken kann. Ich mag auch die Menschen in verschiedenen Kulturen. In der letzten Saison spielte ich Bachs «Goldberg-Variationen» in Zürich, Tokio, New York, Reykjavik, Wien, Paris, Helsinki, überall – es war grossartig zu spüren, wie unglaublich verschieden und gleichzeitig unglaublich ähnlich die Leute sind.

Was machen Sie, wenn Sie reisen?

Meist gehe ich joggen. Es ist wunderbar, einen Ort in den Laufschuhen kennenzulernen. Dann sehe ich mich um nach einem Klavier, um zu testen, ob alles funktioniert – ich bin ein bisschen ein Workaholic. Und schliesslich suche ich einen Ort, wo ich wirklich gut essen kann. Abgesehen davon kommt es darauf an, wo ich bin: In Japan versuche ich immer Gebäude des grossen Architekten Tadao Ando zu besuchen, ich fühle mich wohl in seinen Strukturen. In New York besuche ich eines der unglaublichen Museen, die es dort gibt, in Rom gehe ich normalerweise in Kleiderläden (und ja, auch zum Pantheon und dem ganzen Rest!). Und in der Schweiz liebe ich es einfach, diese frische Luft zu atmen und draussen in der Natur zu sein. Ich habe bisher noch keinen Ort in der Schweiz gefunden, der nicht schön ist.

Lassen Sie uns über Musik sprechen. Ihr klassisches Schlüsselwerk?

Die offensichtliche Antwort wären Johann Sebastian Bachs «Goldberg-Variationen». Aber ich könnte auch sein «Wohltemperiertes Klavier I» nennen, ich spiele dieses epische Werk immer und immer wieder und bekomme einfach nie genug davon. Natürlich sind auch viele andere Komponisten wichtig für mich, aber Bach ist der einzige, von dem ich nie eine Pause brauche.

Wie würden Sie Ihr Instrument beschreiben?

Für mich ist das Klavier ein Treffpunkt. Es ist der Ort, wo ich Komponist*innen treffe (tot oder lebendig!), wo ich mein Publikum treffe … und wo ich meine Erwartungen erfülle oder eben auch nicht. Ich bin in einer sehr kleinen Souterrain-Wohnung aufgewachsen, ich teilte ein Zimmer mit meinen beiden Schwestern. Das Wohnzimmer war winzig, aber darin stand ein grandioser Flügel, ein Steinway Modell B. Meine Eltern hatten ihr ganzes Geld dafür ausgegeben, bevor sie überhaupt eine Wohnung hatten. Der Flügel war sozusagen die Wohnung, der Treffpunkt, wo alles passierte. Ein Klavier ist ein Portal, das einen an unglaublich verschiedene Orte bringen kann.

Üben Sie gerne?

Ja, sehr. Jeden Tag. Ich muss mich nie dazu zwingen. Das war schon immer so, meine Eltern mussten mich als Kind nie zum Üben drängen. Sie sagten eher: Geh hinaus und spiele Fussball mit deinen Freunden, mach etwas anderes, triff Leute! Klavierspielen war deshalb nie etwas, das ich aus Pflicht tat, es ging immer um Leidenschaft und Freude. Das ist bis heute so geblieben.

Wie wichtig ist Applaus für Sie?

Er ist wichtig – aber nicht, weil ich hören möchte, wie grossartig ich bin. Ich möchte wirklich, dass die Leute von der Musik genauso berührt sind wie ich. Wenn sie glücklich sind und applaudieren, macht mich das ebenfalls glücklich. Übrigens: Es ist interessant, wie unterschiedlich der Applaus in verschiedenen Kulturen ist! Man könnte einen spannenden Dokfilm darüber drehen.

Haben Sie ein Ritual vor einem Konzert?

Ich bin einfach gestrickt und muss zwei, drei Stunden vor der Aufführung immer etwas essen. Es fasziniert mich, wenn Leute ohne Zucker im Blut spielen können – ich brauche diese Energie. Ausserdem versuche ich am Nachmittag vor einem Konzert immer eine halbe Stunde zu schlafen, nicht viel mehr, hoffentlich auch nicht viel weniger. Das hilft mir, um mich selbst neu aufzustarten nach der Arbeit vom Vormittag – der Vorbereitung für mich und der Vorbereitung des Flügels zusammen mit dem Klaviertechniker. Es ist unglaublich, wie viel ein kurzer Schlaf bringen kann, wenn man in einem Konzert etwas Neues machen möchte.

Was schätzen Sie an Dirigent*innen oder Orchestern?

Ich liebe es, wenn sie sowohl als Kollektiv als auch individuell funktionieren. Die besten Dirigenten können ein Ensemble von 80 Leuten perfekt zusammenhalten und gleichzeitig etwas komplett Unvorhersehbares tun. Das Gleiche gilt für die Orchester: Im besten Fall sind sie eine Einheit, aber in dieser Einheit behalten die Musiker*innen eine starke eigene Identität. Wenn sie einen Weg finden, diese individuelle Identität in etwas aufgehen zu lassen, was grösser ist als sie selbst – das bewegt mich wirklich. Es entsteht dann eine grosse Gemeinschaft.

Wenn Sie einen Fragebogen erstellen würden, welche Frage müsste darin enthalten sein?

Was macht dich glücklich?

Und was wäre Ihre Antwort?

Drei Menschen. Meine zwei Söhne und meine Frau. Wenn ich heimkomme nach einer Konzertreise – die Umarmungen, die Intensität, die Art, wie die Jungs sich an mich hängen: Das ist der glücklichste Moment in meinem Leben.

Interview: Susanne Kübler

Konzerte

Erleben Sie Víkingur Ólafsson in folgenden Konzerten.

September 2024
Mi 18. Sep
19.30 Uhr

Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Thorvaldsdottir, Strawinsky
Do 19. Sep
19.30 Uhr

Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Thorvaldsdottir, Strawinsky
Fr 20. Sep
19.30 Uhr

Saisoneröffnung mit Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Thorvaldsdottir, Strawinsky
Oktober
Fr 25. Okt
19.30 Uhr

Klavierrezital: Víkingur Ólafsson & Yuja Wang

Víkingur Ólafsson Klavier, Yuja Wang Klavier Berio, Schubert, Ligeti, Brubeck, Nancarrow, Adams, Pärt, Rachmaninow
Januar 2025
Mi 22. Jan
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Adams, Mahler
Do 23. Jan
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Adams, Mahler
Fr 24. Jan
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Adams, Mahler
März
Mi 12. Mrz
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Lutosławski
Do 13. Mrz
19.30 Uhr

Paavo Järvi & Víkingur Ólafsson

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Lutosławski
Sa 15. Mrz
20.00 Uhr

Gastspiel in Hamburg

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Schumann
So 16. Mrz
20.00 Uhr

Gastspiel in Hamburg

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Ligeti, Adams, Lutosławski
Mi 19. Mrz
20.00 Uhr

Gastspiel in Frankfurt

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Schumann
Fr 21. Mrz
20.00 Uhr

Gastspiel in Köln

Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Music Director, Víkingur Ólafsson Klavier Brahms, Schumann
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