Porträt

In der Hauptrolle ein Kraftpaket

Ewa Grzywna-Groblewska spielt seit 2010 Viola im Tonhalle-Orchester Zürich. Sie hält ihre Bratsche in der einen Hand, in der anderen einen Stapel Psychologiebücher. Und auf dem Kopf jongliert sie ein stets halbvolles Glas. Ein Gespräch über Liebe und Leichtigkeit, über Balance und positive Psychologie.

Melanie Kollbrunner

In einer Probenpause sitzt Ewa Grzywna-Groblewska im Café nebenan und isst einen Salat. Sie erzählt von den vielen Hüten, die sie im Leben aufhat, hundert Prozent Bratschistin im Tonhalle-Orchester Zürich, Studentin der Psychologie an der FernUni Schweiz, Mutter eines Siebenjährigen und noch ein paar mehr. Der Sohn, sagt sie, wolle kein Instrument spielen, was völlig in Ordnung sei. Er möge wenn schon Heavy Metal, da komme er nach dem Papa. Der ist Solobratschist im Zürcher Kammerorchester, spielt aber auch E-Gitarre. Ewa hört privat keine Musik. «Musik ist mein Beruf. Ein sehr schöner Beruf, wie ich finde. Aber sie spielt nicht die Hauptrolle in meinem Leben.»

Ohnehin ist ihr die Balance zwischen den verschiedenen Rollen viel wichtiger als der Fokus auf diese eine Sache, die ihr dann auf ewig allein genügen müsste. Und so kam es, dass sie sich für ein Studium der Psychologie entschieden hat, bereits drei Semester sind im Kasten, das Ganze in einer Fremdsprache: Ewa kam nicht in der Schweiz zur Welt, sondern vor 37 Jahren in Minneapolis, USA.

Aufgewachsen ist sie in der südpolnischen Stadt Gleiwitz, ihr Vater Mathematiker und Physiker, ihre Mutter medizinische Laborantin. Ewa lebte dort mit ihren drei Geschwistern, alle mathematisch-naturwissenschaftlich begabt, wie sie selbst, die während der Schulzeit an Wettbewerben in diesen Bereichen reüssierte. Sie sei ein «altes Streberlein», wie sie scherzt, zudem ehrgeizig, aber hochbegabt, nein, das nicht.

Pragmatisch zum Erfolg

Niemand daheim war sonderlich musikalisch, trotzdem stellte die Oma irgendwann ein Klavier zur Verfügung, auf dem die Kinder ein bisschen spielten. Ewa fand das schön und bekam Geigenunterricht. Schon bald war den Lehrer*innen ihrer Stadt wie ihren Eltern klar, dass da zu viel Talent sei, sie nicht nach Warschau zu schicken, um dort das Musikgymnasium zu besuchen und im Internat zu leben.

Die Internatszeit und das Geigenspielen, das sei alles in allem eine gute Zeit gewesen, sagt sie. Mit 14 traf sie ihren Mann, «mein Soulmate, bis heute» – er war 16, ebenfalls Geiger, die beiden besuchten dieselbe Schule. Er stellte etwas früher als sie fest, dass die Bratsche die viel pragmatischere Lösung sei als die Geige, viel gefragter, viel weniger Konkurrenz in Folge bessere Berufsaussichten. Sie war erstaunt, wie gut sein Wechsel gelang und zog nach: Seit sie 19 Jahre alt ist, spielt sie Bratsche, gewann Preise an Wettbewerben und wurde auf namhafte Festivals eingeladen. Als Ewa 22 war, heiratete sie.

Musik und Serien, Feminismus und Sport

«Dass wir in der Schweiz gelandet sind, ist fast so zufällig wie die Tatsache, dass aus mir eine Musikerin geworden ist.» Das kam so: Ihr Mann gewann einen Wettbewerb in Genf und wurde in Folge verschiedentlich eingeladen, in der Schweiz zu spielen. «Warum nicht? Wir versuchen's», habe das Paar entschieden. Es gelang mit der ihnen eigenen Leichtigkeit. Sie kam auf Anhieb bei der Oper Zürich als Akademistin unter, er beim Zürcher Kammerorchester. Ein Jahr später wechselte sie zum Tonhalle-Orchester, auch das klappte prompt und liegt nun zwölf Jahre zurück, sie war gerade 25.

Im Hinterkopf trug sie immer die Idee mit sich, vielleicht einmal Psychologie zu studieren. Mit 35 sagte sie sich, wenn nicht jetzt, wann dann. Im Lockdown schien der Moment gekommen. Gerade jetzt setzt sie für ein Semester aus, um nicht aus dem Gleichgewicht zu fallen, wie sie sagt. Ihr Sohn habe sie irgendwann nur noch hinter Bücherstapeln und dem Bildschirm gesehen, «wobei das vielleicht besser ist als hinter Serien», die mag sie nämlich auch, Dead to Me, eine ordentlich schwarzhumorige Geschichte, empfiehlt sie wärmstens.

Neben Musikerin und Mutter ist Ewa auch engagierte Sportlerin. Wenn die Proben vorüber sind, dann fährt sie durch den Üetlibergtunnel Richtung Luzern nach Wettswil am Albis, wo sie mit ihrer Familie wohnt. «Wir mögen es grün, da oben sind die Steuern günstig und man kann sich draussen toll bewegen.» Joggen, Tennis spielen. Auch Krafttraining macht sie und führt Buch über ihre Fortschritte. Der Coach ist ihr Mann, der inzwischen neben seinem Musikerberuf zertifizierter Fitnesstrainer ist. Er schaut ihr zu, motiviert sie und holt sie hinter der Ofenbank hervor, wenn sie zwei Tage Pause macht. «Das nervt natürlich, aber von ihm lasse ich mir einiges gefallen, ich liebe ihn ohne Ende.»

Dass sie nach dieser «Pause», wie sie es nennt, weiterstudiert, steht fest. «Ich beobachte alles und alle um mich herum, ordne ein und analysiere», das sei immer so gewesen. Im Orchester macht man Witze und sagt, sie könne dann alle therapieren. Aber therapieren, das ist nicht unbedingt das Ziel. Sie will ihre Karriere nicht an den Nagel hängen, aber vielleicht ergänzend im Forschungsumfeld arbeiten, am allerliebsten im Bereich Entwicklungspsychologie. Ihr Lieblingsthema sind Frauen. Feministische, gesellschaftspolitische Fragestellungen. Dieser vielbeschworene Mutterinstinkt etwa, der sei wissenschaftlich nicht belegt. Ewa könnte über die Mutterrolle lange sprechen und ewig nachdenken.

Zufriedenheit kann man steuern

Woher sie sich all' die Energie holt? «Ich glaube, meine Leichtigkeit hat viel mit einem guten Selbstwertgefühl zu tun», sagt sie. Und dies verdanke sie ihren Eltern, die ihr früh beigebracht hätten, dass sie wertvoll sei. Ewa versucht, genau dieses Gefühl auch ihrem Sohn zu vermitteln. Sie selbst hat gelernt, dass sie ihr Glück, ihre Zufriedenheit steuern kann, indem sie aus allem etwas Positives zu ziehen versucht. Sie sei privilegiert, in ihrem Mann eine solche Stütze zu haben und überdies keine traumatischen Erlebnisse verarbeiten zu müssen.

Krisen kennt sie, klar, sie will an ihnen wachsen. «In einer Negativität stecken bleiben, das halte ich für fatal.» Das Leben sei dafür zu kurz, man ende in Frust und grauen Gefühlen, die man dann als Dauerbegleiter durch die paar Jährchen schleppe.
Ewa steht auf, scherzt noch ein bisschen und eilt in die Nachmittagsprobe. Vielleicht hat sie ihren kerngesunden Lebensmut vermacht bekommen? Ihr Grossvater jedenfalls ist 101 Jahre alt geworden.

published: 23.12.2022